Mittwoch, 20. September 2017

Montag, 11. September 2017

Die Spanierin

Sie fragt mich abrupt, ob ich Spanisch spreche, was ich verneinen muss (was ich bedaure), sie schüttelt den Kopf und dreht schnell wieder ab, doch nicht wegen mir, sondern wegen denen. Wegen den vielen unruhigen asiatischen Touristen, die man nur im Plural nennen kann, weil es sie scheinbar nicht einzeln gibt, weil immer schon mehrere von ihnen da sind oder gerade kommen oder auch wieder gehen, meistens aber alles gleichzeitig.

Ihr Profil ist mit Wut konturiert, im Augenwinkel noch flackert ihr Ekel über diese Art von Tourismus, der das Erlebnis „Museum“ in ihren Augen nicht verstanden hat. Nach Monaten stehe ich wieder einmal hier in meinem Stammobjekt an der goldenen Position, wieder an einem Sonntag (als hätte es Bedeutung), wieder höre ich die Touristenherde schon von weitem, wieder wirkt das goldene Liebespaar schüchtern und verlegen hinter seinem Glaspanzer, und doch ist etwas grundlegend anders an diesem Tag. Es ist der Grund für die spanische Wut, und es ist tatsächlich kein angenehmer Anblick.

Als die neue Direktion diesen Sommer das Fotoverbot tilgte, weil es nicht mehr zeitgemäß erschien, da hatte sich niemand laut beschwert, dachte sich die Kollegenschaft ihren Job noch etwas ruhiger, womöglich, doch Ruhe ist meist Theorie, und als ich diesen Sonntag in das loderne Feuer der Spanierin blicke, begreife ich, dass es keinen Adorno braucht, um von dem Anblick dutzender, wie automatisch hochschnellender Handykameras verstört zu werden, ausgelöst von Leuten, die sich selbst und ihre Nächsten mit dem Jahrhundertbildnis inszenieren, wobei sie das unbezahlbare Gemälde zu einer austauschbaren Reliquie degradieren, einer kunstsinnigen, goldenen Ortstafel, die am Ende nicht mehr anzeigt als: Ich war da.

Wirklich paradox daran erscheint die Beobachtung, dass die ehrgeizigen Fototouristen sehr viel länger hinter dem Display nach der perfekten Pose suchen, als sie das eigentliche Kunstwerk frei und ungefiltert betrachten (wofür sie bezahlt haben). Es ist fast so, als wüssten sie nicht, dass ein Gemälde und ein Foto davon nicht dasselbe sind, und der Geist des Kunstwerks ebenso wenig abgelichtet werden kann wie eine Melodie oder ein Geruch. Ich möchte dennoch Verständnis aufbringen für diese moderne Museumsauslegung, für diese Mentalität des Speicherns und Herzeigens, doch es fällt schwer und es tut weh, weil das verbotene Blitzlichtgewitter blendet und der fehlende Respektabstand das Kunstwerk bedrängt und erniedrigt und mich in Mitleidenschaft zieht. Der einzige echte Trost ist mir an diesem Sonntag ein einziger Mensch, dem es inmitten der Blitzer und Poser noch viel schlechter ergeht als mir – und irgendwann reicht es der Spanierin, die hier etwas erleben möchte, das niemand verstehen kann, die ein Kunstwerk in seiner Unmittelbarkeit und in Ruhe auf sich wirken lassen möchte, sie brüllt die Herde mit erstaunlichem Organ an, den verfluchten Blitz endlich abzuschalten, mit dem Posieren aufzuhören und „just looking!“ Eine Reaktion bleibt weitgehend aus.

Später fällt mir ein, ich weiß doch einen Satz auf Spanisch, einen einzigen. Ich sehe die abgekühlte Spanierin noch einmal, sie geht an mir vorbei, wir tauschen einen Blick; und wenn ich etwas schneller, etwas mutiger gewesen wäre, hätte ich ihr in leiser Verbundenheit geflüstert: El mundo está loco.

Dienstag, 5. September 2017

Absolut unqualifiziert

Ich habe nie gelernt zu schreiben, ich habe einfach damit begonnen. Vielleicht fällt es mir deshalb so schwer, zu dieser ungelernten Tätigkeit zu stehen, mir fehlt es an einem ausgewiesenen, hart erarbeiteten, verdienten Zertifikat, das ich mir über den Schreibtisch hängen und im Zweifel betrachten und mir denken könnte: Dieses Zertifikat hat jemand unterschrieben, und dieser jemand denkt sich, ich habe hiermit einen echten Schriftsteller abgesegnet. So aber fühle ich mich wieder und wieder wie ein Fälscher, ein schlechter Spion, der ungelenk und verdächtig vorgibt zu sein, wovon er in Wahrheit keine Ahnung hat.

Und vielleicht (das ist meine Hoffnung), vielleicht kann man überhaupt nur so schreiben: In dem Gefühl, sich tagtäglich an eine Arbeit zu setzen, für die man sich absolut unqualifiziert glaubt.