Donnerstag, 31. Mai 2018

Relationen (IX)

Ein Banker kauft sich eine Rolex. Ein Autor kauft sich Zeit.

Mittwoch, 30. Mai 2018

Busters Beitrag

Es gab eine Zeit, da habe ich Buster Yanzell übersetzt; die meisten seiner Schriften sind unerheblich bis kindisch, doch seine Ansichten und Beiträge zur Realität-Traum-Verengung sind nach wie vor aktuell. Yanzells Zugang ist erfrischend: Es ging ihm nicht um freudsche Deutung, nicht um Analyse, Symbolik, Auswertung, sondern rein um die Tendenzen der Traumdramaturgie; um die Frage, was ihre Erzählung auszeichnet, absondert, kurz: sie bestimmt.

Yanzells „The Theory of How to Not living the Dream“, in meiner Übersetzung als „Warum ich weiß, dass ich keinen Traum lebe“ erschienen, verhandelt äußerst prägnant, was die Realität vom Traumerleben unterscheidet. „Im Traum bin ich immer involviert“, schreibt Yanzell (nach meiner Fassung), „ein Umstand, den die Realität nicht zulässt. Höre ich in der Stadt Polizeisirenen, gehen sie vorüber – im Traum aber sind sie mit mir verbunden, sind die Bullen entweder hinter mir her, überfahren mich oder zwingen mich zu irgendeiner Handlung, einer Reaktion (ausweichen, einsteigen, verstecken, …). Die Involvierung ist also der erste Unterschied. Der zweite ist die Frequenz der Ereignisse. Wiederholung, Trägheit, Leerlauf lässt kein Traum zu.  Im Traum passiert mir immer etwas (Unerwartetes). Im Leben? Wiederholung auf Wiederholung. Ich wünschte, es würde endlich einmal etwas passieren – ein sicherer, vielleicht der sicherste Gedanke, um zu wissen, sich nicht im Traum zu befinden. Wer auf Spannung hofft, der kann nicht träumen. Im Traum aber gibt es keinen Leerlauf, keine Wartezeit, stattdessen Ereignis auf Ereignis, Involvierung auf Involvierung. Die Ausnahme wird im Traum zur Regel. Immer passiert die Ausnahme, immer passiert, was normalerweise nicht passiert, weil es nicht passieren darf.“

Yanzell weiter: „Beispiel: Ich bin wach – ich fahre mit dem Taxi von A nach B: ich komme bei B an, ich zahle und steige aus. Ich träume – ich fahre mit dem Taxt von A nach B: ich erkenne kurz vor B, dass ich kein Geld eingesteckt habe, ich werde ängstlich, panisch, verzweifelt, komme bei B an, werde gezwungen, mich meiner Angst zu stellen, und muss die Konsequenz annehmen, sie durchspielen (…).“

Hier ist meine Übersetzung plötzlich fehlerhaft und unvollständig … Es wirkt, als hätte ich ein Detail übersehen, als fehlte mir ein Absatz, fast so, als hätte Yanzell selbst einen unerwarteten Sprung gemacht, an den ich mich nicht mehr erinnern kann. Von der Straße tönen plötzlich Polizeisirenen. Im nächsten Moment klopft es an meiner Tür. „Kommen Sie raus, Buster!“, brüllt eine Stimme. Ich springe panisch auf und fliehe über die Feuerleiter, renne zur Straße und halte das nächste Taxi an, sage dem Fahrer, er solle mich nach Hause fahren, egal wohin, und erst während der Fahrt erkenne ich, dass ich kein Geld eingesteckt habe …

Als der Wecker läutet, setze ich mich umgehend an den Schreibtisch, schalte den Computer an und suche im Internet nach Buster Yanzell. Es existieren keine Einträge zu dem Namen. Ich will den Kaffee aufsetzen, erkenne die Uhrzeit, bin bereits knapp dran, steige in den Dienstanzug und mache mich, ohne Zwischenfälle, auf den Weg ins Museum, wo ich die nächsten acht Stunden ohne Zwischenfälle verbringen werde. Manchmal wünschte ich, es würde endlich einmal, nur einmal, etwas passieren.

Montag, 7. Mai 2018

Der Nichtkönner

Wie kann ich wissen, ob ich etwas kann? Wusste Joyce, als er 1920 an seinem Pariser Schreibtisch saß, dass er etwas schreiben konnte, dass später der Ulysses wäre?

Wenn ich aber nur im Zweifel schreiben kann (und das will ich glauben), wie kann ich dann gleichzeitig das Vertrauen zu mir selbst aufbauen, dass es braucht, um irgendeine Tätigkeit im Leben fortzusetzen? Wenn ich mir die Zähne putze, weiß ich, dass es klappt. Wenn ich schreibe, weiß ich nichts (sicher). Ich habe einen Gedanken, der mich drängt, eine Idee, ihn festzuhalten, doch ich kann nicht sagen, welche Worte es dafür braucht, bin nicht überzeugt, dass ich das Blatt so abschließen kann, wie ich es mir wünsche. Denn zuallererst ist Schreiben Wunsch – erst mit ihm kommen die Zweifel. Ohne Wunsch, ohne Vorstellung von irgendeiner Art von Ziel, kann es auch nie einen Zweifel daran geben.

Wenn ich aber versuche, den Stein einfach zu rollen, die Erwartung auszuschalten und nicht an den Wunsch des Gipfels zu denken, so verfolgt mich immer noch die Selbstwahrnehmung: Ich sehe mir selbst zu, und ich sehe, dass die Art und Weise, wie ich den Stein rolle, schlecht ist. Dass ihn jeder andere Autor besser rollen könnte und auch kann. Und sobald ein Gedanke schlecht ist, werden es alle: Alles, was ich tue, ist schlecht. – Das stimmt so nicht, ist praktisch nicht haltbar, und doch kommt sie immer wieder, die Wahrnehmung, die mich tadelt und straft, mich vom Stift abhält, mich bremst und zurückwirft und aus dem Schreiben bringt, weil ich es eben nicht kann. Alle paar Tage möchte ich mit dem Schreiben aufhören, nur um die Stimme loszuwerden, die mir sagt, dass ich schlecht bin, dass ich es einfach nicht kann und niemals können werde, dass auch dieser Satz im Grunde unbrauchbar und streichfähig ist und ich es gar nicht erst zu versuchen brauche, am Besten sofort abbreche.

Aber auch das schaffe ich nicht. Und vielleicht schreibe ich letztlich nicht trotz, sondern wegen den Niederlagen, den Zweifeln, Widerständen, maßlosen Wünschen. Nicht trotz, sondern wegen der verzerrten, verlässlichen Wahrnehmung, ein Nichtkönner zu sein.

Denn wenn ich nichts kann, kann ich mit dem Schreiben auch nicht aufhören.