Montag, 1. Juli 2019

Der Karton in der Beuge


Heute arbeite ich erst abends, bin tagsüber hinaus, ein Spaziergang in die nackte Sonne, zu wenig Wind, aber zwischen dem Schweiß wieder so ein Moment, ein Bild, das hängen bleibt: Ich gehe über einen ausgebrannten Zebrastreifen Richtung Währinger Park, als mir eine junge Frau und ein junger Mann entgegen kommen; ich blicke hinüber zum jungen Mann und sehe, er hat einen Armstumpf, sein linker Arm endet kurz nach dem Ellbogen, und da, in dieser verkürzten Beuge, trägt er einen Karton Himbeeren. Er passt perfekt in die Beuge, der kleine Karton, es ist beinah, als schwebten die Himbeeren darin, oder als würde er sie in seinem Stumpf wiegen; sie wackeln nicht, sie fallen nicht, sie halten sicher.

Und es ist nichts Komisches an diesem Bild, es ist ein Bild von poetischer, von surrealer Schönheit. Und es zeigt mir, dieses eine kleine Bild, bedeutet mir, dass alles in der Welt sich vielleicht irgendwo fügt, das alles für jemanden oder für etwas passt, dass vielleicht sogar ich und meine Worte irgendwo passen, wenn nicht heute, dann morgen oder nächsten Herbst. Und schon wird die Hitze erträglicher, der Schweiß ferner, mein Tag klarer und wertvoller. Mit dieser einen, surreal deutlichen Erkenntnis, ein Armstumpf und ein Karton Himbeeren können ein perfektes Paar, eine ganz natürliche Symbiose abgeben, fühle ich mich bestätigt, in einem Gefühl, das mir langsam immer glaubwürdiger erscheint: Ich bin nicht allein. Niemand, nichts ist so allein auf der Welt, dass nicht irgendwo Etwas wäre, das es ergänzte, es perfekt ausfüllte. Wie ein Karton Himbeeren in verkürzter Armbeuge.