Montag, 12. Juli 2021

Adam und Eva, neu erzählt

Zwei Menschen erwachen eines Morgens splitternackt auf einer Wiese und finden sich gefangen in einer gigantischen Gartenanlage. Die beiden Menschen, eine Frau, ein Mann, kennen einander nicht, sie kennen niemanden, sie wissen nicht, warum sie hier sind oder was sie gefangen hält, doch sie verstehen, dass sie zusammenhalten müssen, wenn sie in dem Gefängnis überleben wollen. 

Obwohl die beiden nackt sind, leiden sie unter der Hitze, der unerbittlichen, denn es regnet nie, es gibt keine Wolken und keine Sonnenmilch in der Anlage. Sie ziehen sich zurück in den Schatten, sie leiden und schwitzen unter den perfiden Regeln und Bedingungen, die ihnen eine fremde, unsichtbare, blecherne Stimme vorgibt. Sie müssen sich hier selbst um Nahrung kümmern, doch das gesündeste Obst wird ihnen verboten. Sie dürfen im Fluss baden, doch sie haben keine Seife. Erschöpft, erschlagen, ohne Mundhygiene und ohne jede Hoffnung vegetieren sie in den Wirrnissen der Anlage, die sie ewig hier hält, ummantelt von Mauern, die ihnen den Blick verbauen. Die Tage vergehen, doch es scheint, als wäre die Zeit hier stehen geblieben, jede Stunde wird ihnen lang, zieht sich unaufhaltsam auseinander; eine Siesta, die nie vergeht. Eine Idylle ohne Ausweg.

Es ist schließlich die Frau, die einen Plan fasst. Sie gerät in Kontakt mit einer ehemaligen Aufsicht, einem lispelnden Außenseiter, der aussortiert, freigestellt wurde; als einziges Wesen erkennt die Aufsicht das Martyrium der beiden Menschen, sie bietet ihre Hilfe an, kennt immer noch alle Pfade und Geheimnisse der Anlage. Der Schlüssel, sagt sie, er liegt versteckt in der Frucht des Obstbaumes (deshalb das Verbot), und die Frau begreift endlich, sie geht zum Baum, wiegt die Früchte und ertastet sofort die richtige; sie weiht den Mann ein und beißt in den Apfel, und tatsächlich, der Schlüssel ist da, er passt, und das Tor der Anlage öffnet sich umgehend, sie fassen einander an den Händen und sie fliehen gemeinsam, sie verlassen die Anlage, zum allerersten Mal, sie atmen, sie lächeln, sie haben Angst. Sie erwarten das schlimmste, doch niemand verfolgt sie, niemand ist hinter ihnen her. Sie gehen weiter, wissen nicht, was vor ihnen liegt. Sie sind frei.