In der Welt der Aufsicht gibt es gute, weniger gute, schlechte und unerträgliche Dienste. Zu letzteren zählen die unvermeidlichen Außendienste, die ich in steter Unregelmäßigkeit durchstehe, das Bewachen von Eingängen, Baustellen, Innenhöfen, Außenstellen, die gerade jetzt herhalten müssen, bis die Museen wieder öffnen dürfen. Ich stehe im privaten Windkanal des Auktionshauses, überblicke und regle die Parkordnung, versuche die Anliegen rumänischer Lieferanten zu entschlüsseln, und friere.
Ich stehe im Innenhof und friere, trotz Haube, Winterjacke, drei Paar Socken, ich friere, weil die Februarkälte anzieht, weil die Durchblutung mich wieder im Stich lässt, weil ich schon viel zu lange in der Kälte stehe, ich friere. Und mit dem Frieren werden auch meine Gedanken nur von Kälte beherrscht, und ich muss an die Tagebücher von Friedrich Hebbel denken, ständig beklagt er darin, wie es ihn friert, wie er wieder nicht warm wird, wie die nächste Verkühlung sein Genie bremst, wie sich Kältedramen im Schreibzimmer abspielen. Und Hebbel war beileibe nicht der einzige Schreiberling, der ständig fror: von Erasmus über Nietzsche bis Kafka – liest man über die Leben und Leiden aller großen Dichter, Denker, Philosophen, muss man glauben, die Geschichte der Literatur sei eine einzige, große Geschichte des Frierens.
Über Erasmus, den Größten aller Humanisten, schrieb Stefan Zweig: „Unwillkürlich denkt man bei diesem feinen, ein wenig konservenhaft trockenen Mönchsgesicht zunächst an verschlossene Fenster, an Ofenhitze, Bücherstaub, an durchwachte Nächte und durcharbeitete Tage; keine Wärme, keine Kraftströme gehen von diesem kühlen Antlitz aus, und in der Tat, immer friert Erasmus, immer hüllt sich dieses zimmersitzende Männchen in weitärmelige, dicke, pelzverbrämte Gewänder“ – doch nicht einmal die helfen ihm, immer braucht er ein Schlückchen Burgunder (nicht zu bitter), immer ist er blass, kränklich, überempfindlich, lebt und denkt in ständiger „Untergesundheit“ – und entwickelte die herzerwärmendste geistige Lehre des 16. Jahrhunderts.
Erasmus von Rotterdam war ein Vorzeigefröstler, einer, der sich von Kälte nicht verbittern ließ, obwohl seinen Schreibtagen kaum bis keine körperliche Wärme vergönnt war. Das Frieren liegt in der Natur des Schreibens – denn Schreiben beginnt damit, sich hinzusitzen – doch es ist ein freies, ein selbstbestimmtes Frieren, eines, für das man sich bewusst entscheidet, indem man der regen Bewegung das rechte Wort entgegenhält, der Vitalität des Lebens die Kraft der Gedanken. Bei Wind und Wetter muss man sich in sie versenken und alles um sich vergessen, selbst die Kälte, den Wind, die starre Sitzhaltung, die zum Frösteln neigt. Schreiben, das ist zutiefst ungesund, wie ein sturer Außendienst an arktischen Wintertagen, es ist ein zitterndes Syndrom, eine Anleitung zur Kränklichkeit, die alle großen Dichter und Denker befolgt haben – doch in ihr selbst liegt auch die Heilung: Denn ohne das eingehende Frieren im Sitzen hätten sie nie zu den Gedanken gefunden, an denen sich ihr Geist erwärmte.
Die Geschichte des Schreibens ist eine Geschichte des Frierens; es ist ein windig schönes, allzu menschliches Paradox, das sich durch alle schlecht beheizten Schreibstuben der Weltliteratur zieht: Sich auf das Frieren einzulassen, es überhaupt erst zu suchen, um schreibend gegen die Kälte anzukämpfen, sich an den Gedanken zu wärmen, während der Körper erkaltet. Nur passend, dass die vielleicht schönste literarische Liebeserklärung an das Frieren von einem Chilenen stammt: Alejandro Zambra lässt in Der chilenischste Mann der Welt seine Hauptfigur nach Belgien reisen, wo sie sich an den stillen Vater erinnert, der immer dann ein neuer Mensch wurde, wenn er den Witz vom verfrorendsten Chilenen erzählt, vom "chilliest man in the world", der natürlich eines Tages erfriert. Er kommt in den Himmel, doch auch dort friert er, also schickt ihn Gott in die Hölle, aber selbst hier ist es ihm zu kalt – also sperrt ihn der Teufel in ein Zimmer im Kern der Sonne, dem heißesten Ort des Universums. Ewigkeiten hört man nichts von dem Chilenen. Irgendwann wird der Teufel unruhig, er reist zur Sonne, öffnet die Tür zur Kammer und umgehend ertönt eine bibbernde Stimme aus dem Inneren: "Tür zu, es zieht!"