Dienstag, 30. August 2016

Freitag, 26. August 2016

Putins Hund

Vergangene Nacht träumte mir, ich sei der neue, persönliche Assistent von Wladimir Putin. Bei einer Rede am Petersburger Hafen erhalte ich erste Befehle: eine große Menschenmasse mobilisieren und ein bisschen mitschreiben. Ich reagiere verkrampft, voller Ehrfurcht vor der politischen Gestalt, jeden Moment in dem ängstlichen Glauben, fürchterlich bestraft zu werden, sollte ich versagen. Doch entgegen all meiner Vorurteile, da ist Putin kein gewaltvoller Despot, ist er kein launischer Bär. Völlig gelassen nimmt er es hin, dass ich keine Menschenmasse mobilisieren konnte.

Die Tage vergehen, der Frühling zieht ins Land; das Wetter ist gemäßigt, die Luft angenehm. Einmal schneit es und Petersburg wird mit sanftem Weiß bedeckt. Von meinem Schreibtisch aus sehe ich auf die Straße, die Leute gehen in bunten Mänteln über den Asphalt, niemand scheint in Eile.

Mit Putin verstehe ich mich täglich besser. Seine eloquente Ausdrucksweise und leidenschaftliche Literaturfreude steigern mein Selbstvertrauen kontinuierlich. Eines Tages fühle ich mich bereit, ihm einen meiner Texte vorzulesen; eine kurze Parabel mit dem Titel „Putins Hund“. Putin gefällt der Text auf Anhieb, er richtet umgehend eine Diskussionsrunde in einem Palastzimmer ein und wir besprechen meine Geschichte, bis es dunkel wird.

Irgendwann fragt mich Putin, ob der Hund in dem Text tatsächlich existiert. Nein, sage ich, aber wenn er diese Frage aufwirft, hätte der Text bereits ein Ziel erreicht, oder? Daraufhin verfällt Putin in ein langes, denkerisches Schweigen, während mir seine entspannten Gesichtszüge andeuten, mit der Antwort und der Welt zufrieden zu sein.

Als ich aufwache, droht Putin dem Westen und niemand diskutiert meine Texte. – Die gewohnte Vertrautheit der Realität, sie hat mich umgehend wieder.

Dienstag, 23. August 2016

Relationen (V)

Es fällt mir immer noch schwer, mit Kritik umzugehen. 
Es fällt mir immer noch schwerer, mit Lob umzugehen.

Samstag, 20. August 2016

Relationen (IV)

Manchmal kann ich mich nicht entscheiden, was ich schlimmer finde: verstecktes Elend oder zur Schau gestelltes Glück.

Freitag, 19. August 2016

Zutiefst versichert

Seitdem ich wieder einen Job habe, mischt sich endlich etwas Struktur und Pflicht unter meinen Alltag. Ich sage mir, ich muss froh sein, einen Job zu haben – auch wenn die Arbeit meilenweit davon entfernt ist, ein Beruf zu sein, so nimmt sie mir doch die Möglichkeit, einen Großteil meiner Zeit ohne Bezahlung zu verschwenden.

Ich arbeite als Teilzeitwachorgan, um den Leuten die Illusion von Sicherheit zu vermitteln, an die ich selbst nicht glauben kann. Ich habe mich für, oder besser: nicht gegen die Stelle entschieden, weil ich der monatelangen Suche nach ähnlich schlecht entlohnten Alternativen müde war und weil mir diese Arbeit ein wenig Zeit verschafft, Aufschub, um mich nicht weiter mit dem idealen Anschreiben der Existenzbewerbung herumzukasteien. Und weil ich mit der Stelle voll versichert bin. Und versichert sein, so wurde mir gesagt, ist erst einmal das wichtigste im Berufsleben.

Ohne Versicherung muss ich jederzeit in Angst leben. Mit Versicherung darf ich jederzeit in Angst leben. Ich zahle für ein Leben im Konjunktiv, um mich abzusichern vor den Folgen einer imaginierten Tragödie, eines Schicksals- oder Ausschlages, der mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eintreten wird. Doch die Präsenz meiner Versicherung zwingt mich zu Vor-Sorgen, in denen ich mich mit der Möglichkeitsform des brutal Unwahrscheinlichen auseinandersetze. Ich muss den Konjunktiv ernst nehmen, muss mir das Was-wäre-wenn-Szenario des Albtraums vor Augen halten, um die Notwendigkeit der Versicherung zu rechtfertigen. Versicherungen unterstützten mich in meinem Denken an das Eintreffen von Geschehnissen, die nicht eintreffen dürfen; sie legitimieren den Albtraum. Und das ist erst einmal das wichtigste im Berufsleben.

Seitdem ich über eine sichere Dienststelle verfüge, bei der ich voll versichert bin, fühle ich mich erstmals als vollwertiger, erwachsener Gesellschaftspart wahrgenommen. Zumindest, solange ich meinem erwachsenen Umfeld verschweige, dass ich nebenher gewisse literarische Ambitionen verfolge und die Arbeit des Wachorgans mir lediglich als inspirativer Ausgleich zur Niederschrift meiner beschränkten Gedanken dient. Sobald der vage Traum des Autors jedoch verbal ausgebreitet wird, bin ich sofort wieder Kind, sofort wieder das naive, weltfremde, schöngeistige Dingelchen, das am Tisch der Erwachsenen nichts verloren hat. Ambitionen sind gefährlich, weil sie von der Versicherung nicht abgedeckt werden. Sie lassen sich weder kategorisieren, noch abwägen, und sind deshalb nicht ernst zu nehmen, was sie vom konkret bemessenen Versicherungsinhalt unterscheidet; Ich werde belächelt, wenn ich mich auf die Terrassen ruhmreicher Kunst träume. Ich werde bekräftigt, wenn ich mich auf einen deformierenden Unfall einstelle.

Es ist dieses Bewusstsein der erwachsenen Welt, das mich so sehr befremdet: Wer Träume hat, ist ein Träumer. Wer Albträume hat, ist Realist.

Montag, 15. August 2016

Lob der Schwäche

Stärke galt als eine der sieben Tugenden im frühen Christentum, jene überzeugte Fortitudo, die der alte Bruegel im Kupferstich verewigte, und die in 1500 Jahren noch nicht sonderlich überzeugt hat. Heute, da lebt die Proklamation der Fortitudo in den sozialen Netzwerken weiter, welche die Stärke als gelebte Vollendung utopischer Schönheitsideale feiern und die zahllosen Selbstbilder ihrer blattschmalen A4-Taillen und kraftnormierten Sechserpackungen als ikonenhafte Wertetafeln an die Glaubensgemeinschaft aussenden. Das Web ist die Religion, deren Glaube zwingt, sich in der Netzgemeinde besonders stark präsentieren zu müssen; der positive Kommentar ist die ersehnte Heilsbringung, der den Worten Christi gleicht. Damit lebt die Generation Selfie den christlichen Angstkanon des Spätmittelalters nahtlos und bereitwillig weiter, sie preist die scheinheiligen Tugenden im digitalen Rudel, während ihre selbst auferlegten Todsünden den bedingungslosen Gehorsam gegenüber der Tugend weiter und immer weiter festigen.

Wenn die Todsünden dabei die kategorischen Messstäbe menschlicher Schwäche darstellen, dann habe ich die schlimmste aller Todsünden begangen; nämlich, zur Schwäche zu stehen.

Stärke interessiert mich nicht. Was ist Stärke auch anderes als ein geschmackloses Bindemittel zum Zwecke der Verhärtung? Mir liegt nichts daran, hart sein zu wollen, um der Härte des Lebens zu entsprechen, zu dem ich keine Beziehung habe. Das Leben schuldet mir nichts und ich schulde nichts in retour. Härte erstrebe ich nicht, Hartnäckigkeit verstehe ich nicht, Hartschale steht mir nicht. Ich meide, was mich stärken könnte, stattdessen fühle ich mich tragisch angezogen von meiner eigenen Schwäche, die ich in jedem meiner Sätze erfasse und fortführe, in der einzigen Konsequenz, mich ihr niemals zu entziehen.

Schwäche ist, was mich durch die Tage trägt. Ich bewundere jedes kleinste Blatt, das als allererstes vom zitternden Zweig abfällt und auf der kalten Erde landet, bevor ihm alle anderen, stärkeren Blätter in den unausweichlichen Tod nachfolgen. Der Pioniertod des kleinsten Blattes, er ist vielleicht der wahrhaftigste, poesievollste Sieg der Schwäche, den ich mir vorstellen kann. Es schenkt mir den Glauben, dass der gesamte Baum bis zur Wurzel nur an diesem einen kleinsten Blatt hing, welches die Last des verhärteten Stammes auf sich lud und daran selbstlos zu Grunde ging.

Ich bedaure das Starke, das eisern standhält. Ich begrüße das Schwache, das ungeschickt im Wind tanzt. Alles, was schutzlos zittert und flieht, was vor Bruch und Schaden nie gefeit ist, was beweglich, fragil, kurzfristig, ungewürdigt, übersehen existiert, ist mir der Grund, auf dem mein Leben fußt. Mein Dasein ist auf Sand gebaut, meine Grundfeste erschüttern sich bei Sturm und Regen – gleichzeitig durchspülen die Unwetter meinen schwachen Alltag in sturer Regelmäßigkeit, sie erfrischen und säubern mich. Warum sollte ich eine Stärke anstreben, die mich davor bewahrte, mich selbst zu reinigen?

Ich lobe mir die Schwäche, die mich zur schonungslosen Selbstbetrachtung zwingt und mir jeden Makel aufzeigt, den die Tugend retuschieren möchte, weil die Glaubensgemeinschaft den Makel nur als Sünde kennt. Ich lobe mir die Sünde des Makels, deren Präsenz mich in den Wahnsinn treibt, vom entnervenden Haut- bis zum Talentpickel, jene Makel, die mich aufwühlen, ablenken, antreiben und auszeichnen. Denn was wäre ich für ein Mensch ohne meine Makel? Wie könnte ich meine Gefühle ergründen, wenn mich der Makel nicht dazu herausforderte?

Ich habe eine Schwäche für die eigene Schwäche. Das ist, neben allen anderen, meine größte und schwerste Sünde. Und so wie das kleinste Blatt jederzeit Angst vor dem Tod haben muss, so habe ich große, stürmische Angst vor der Einsamkeit und Verstoßenheit des bewussten Sünders. Und ich empfange meine Angst noch mit offenen Armen und ich tanze allein und vogelfrei in ihrem stürmischen, haltlosen Auge. Denn ich bin schwach.

Dienstag, 2. August 2016

Im Zweifel Sokrates

Ich weiß, dass ich nichts weiß – ist vielleicht wahr und ganz sicher schlecht übersetzt. Denn, soviel lässt sich heute sagen, die gedanklichen Ausführungen des Sokrates schließen nicht auf eine manifestierte Absolutheit seines Nichtwissens, sondern auf das schlichte Bewusstsein, keine zweifellose Weisheit zu besitzen. Sokrates hatte mit dem Ausspruch wohl nicht gemeint, nichts zu wissen, sondern eher, nichts genau zu wissen.

Der Vorschlag für eine bessere, eine genauere Übersetzung wäre somit: Ich weiß, ich weiß nichts. Nicht nur erspart sie mir dieses hässliche, verwirrte Entlein unter den Bindewörtern, es füllt die Aussage zudem mit nachhaltiger Ambivalenz, da sie eine doppelte Lesart zulässt; und damit dem ursprünglichen Gedankengang des Sokrates um einiges präziser entspricht als die bisherige Version.

Zumindest möchte ich das glauben. Ich möchte glauben, Sokrates hatte, nachdem er wusste, nichts genau zu wissen, auch noch daran gezweifelt.