Immer wieder bedrückt mich das kalte Gefühl, in einer
Das-geht-heute-nicht-mehr-Zeit zu leben. Einer Zeit, in der es keine
Elfenbeintürme mehr gibt, nicht mehr geben darf, wo das Bild des Literaten
nicht mehr funktioniert, der stundenlang im Kaffeehaus an einem einzigen
Verlängerten sitzt, raucht, liest, und ein paar Worte, viele Worte, keine Worte
zu Papier bringt und dafür bewundert wird. Heute geht das nicht mehr. Der
heutige Erfolgsautor macht von sich Selbstbilder als bereitwillige
Disziplinmaschine, die kein Problem damit hat, Selbstbilder zu machen, um
sich als heutiger Erfolgsautor zu präsentieren, natürlich neben einem
irritierend regelmäßigen, gesunden Schreibpensum, für das es Gefallen und Häme
gibt, viel Häme, aber auch viel Gefallen, aber weder das eine, noch das andere
aus Bewunderung. So etwas wie Bewunderung, das geht heute nicht mehr, weil es zu
einfach geworden ist, Gefallen zu zeigen. Echte Bewunderung aber zeigt sich
nicht, sie weiß sich selbst im Stillen, sie ist intim, unteilbar und
schrecklich schüchtern. Drei Eigenschaften, die heute überhaupt nicht mehr
gehen.
Vielleicht stimmt das alles auch nicht, oder nur
tendenziell; es ändert nichts an meinem Gefühl. Es gefällt mir nicht,
nostalgisch verklärt zu klingen und einer Zeit nachzutrauern, die ich nie
gekannt habe. Noch weniger gefallen mir die Tendenzen der Gegenwart. Es
gefällt mir nicht, dass ein Leben ohne Netz heute undenkbar ist, und, noch
weniger, dass es alle so bereitwillig akzeptieren, dass sich alle vernetzen,
weil es eben geht, und niemand mehr leben möchte, wie es heute nicht mehr geht.
Sich aus den vernetzten Sozialwerken fernzuhalten und nur bei sich zu sein,
sich Tage ohne Termine, Teilungen und Gespräche zu nehmen, das geht heute nicht
mehr.
Ich gehe heute nicht mehr.
Ich gehe nach einer heißen Schicht in Richtung untergehender
Sonne, der Gehweg trägt feuchte Flecken, Trottoir
nannte man ihn früher, aber das geht heute nicht mehr, das klingt
antiquiert und nach Kaffeehausliterat, solche Begriffe kann man heute nur noch
ironisch sagen, weil sich heute alles ironisch sagen lässt, und vor oder neben mir höre ich plötzlich einen grauen Pferdeschwanz mit Jeansjacke sagen,
nachdenklich heiser: „Man kann das Leben leben auf so viele verschiedene
Facetten.“
Ich danke dem Betrunkenen für diesen Satz, indem ich ihn
nicht vergesse, lächle und gehe weiter, bis ich in der Wohnung stehe. Ich lese
ein, zwei Geschichten von Cortazar und schlafe irgendwann ein, träume in der
Nacht auf so viele verschiedene Facetten, weiß am nächsten Morgen nicht, warum
ich zufrieden bin. Sofort erwacht die Skepsis und schaltet ungeduldig den Computer ein. Denn so etwas wie Zufriedenheit, sagt sie, das geht heute nicht mehr. Wirklich
nicht.