Freitag, 31. März 2023

Rand und Reste

Kürzlich kam ich aus dem Kino (ich sah ein strenges Kammerspiel mit Willem Dafoe als kauzigen Kunstdieb, der in einem Luxusapartment ohne Vorräte, aber voller Hochkultur feststeckt, und zwischen Schiele und Fontana den einsamen Robinson geben muss, ein Gemälde von einem Film, doch nicht im ästhetischen Sinn, sondern in der Art und Weise, wie er mich dazu auffordert, etwas darin zu sehen, das Motiv auf mich wirken lassen – oder es besser gleich zu lassen), und weil ich zuvor nichts gegessen hatte und der Film permanent um Hunger kreiste, setze ich mich in die niemals ferne Burgerbude bei der Bahnstation und bestelle mir das nächstgrelle Bild über dem Tresen.

Es ist wenig Platz und nicht viel los; rechts neben mir drei junge, reich geschminkte Frauen, gegenüber, in einer Ecke abseits des Tresens, ein schmaler dunkler Typ in einem blauen Trainingsanzug, der Tisch vor ihm leer. Während ich den anspruchslosen Hunger stille, stehen die Frauen neben mir auf, stellen ihr Tablett mit den Pommesresten in das dafür vorgesehene Metallwägelchen und verlassen den Laden. Nur einen kurzen Moment später erhebt sich der knochige Kerl im Trainingsanzug, und ich beobachte, wie er sich langsam zum Tablettwagen bewegt und prüfend einen Blick in die dunklen Einschübe wirft, bevor er sich mit den zurückgelassenen Essensresten wieder in die Ecke zieht, in der er zuvor gewartet hatte.

Ausgerechnet hier, in einer lieblosen Schnellfressstädte, ist Platz für diese Beobachtung, die in jedem Cafe oder Restaurant der Stadt undenkbar wäre; früher, vor über hundert Jahren, da waren die Kaffeehäuser noch Auffangbecken für die sozial Schwachen, die Randständigen, die Prekären, die den ganzen Tag an einer leeren Mokkatasse nippten, weil es im Kaffeehaus warm war und für alle Platz; heute sind es die austauschbaren Konsumketten mit ihrer wurschtigen Massenmentalität, die das Kaffeehaus als Hort der Unterschicht längst abgelöst haben; heute ist hier der Platz für Hungerleider und Wärmesuchende, für knochige Kerle in zu weiten Trainingsanzügen, die sich ihr Menü selbst bauen, ohne behelligt zu werden, weil sich in den Schnellfressstädten kein Schwein um dich kümmert, und wo du allen egal bist, da wirft dich auch keiner raus, da gibt es keine Kellner, die dich zum Gehen auffordern, keine Gäste, die dich mit Abscheu strafen – hier, bei Billigburger & Co. fressen alle dasselbe und jeder für sich; in gewisser Weise wird ausgerechnet hier die Gleichheit des Menschen besonders deutlich: Niemand isst hier besser als der andere. Bloß konsumieren manche mehr, während für andere nur der kalte Rest bleibt. Aber immerhin dieser.

Mittwoch, 1. März 2023

Skepsis