Mittwoch, 28. September 2016

Schulbank

Und dann wieder die Frage, wie ich in dieser Welt zu einer Tätigkeit stehen kann, für die ich nicht bezahlt werde. Wie kann ich es rechtfertigen, mir Zeit zum Schreiben heraus zu nehmen, ohne zu wissen, ob dabei überhaupt Zählbares herauskommt? Die Einschüchterung steckt bereits im Wort: Zählbares. Nur Bares wird im Leben gezählt. Ich hasse es, dass jede Diskussion mit mir selbst an irgendeinem Punkt immer beim Geld endet.

Es ist dieser Druck, der in meinem Kopf herrscht, diese eingefüllte und aufgesogene Lüge, etwas habe nur Wert, wenn es mit Geld verbunden sei; eine Aufgabe mache sich nur bezahlt, wenn sie auch bezahlt wird. Dieser unendlich hemmende, lähmende Druck, Bares abbauen zu müssen, um zu dem Gefühl zu finden, etwas geleistet zu haben.

Dieser Banknotendruck, wann wird er endlich aus dem Kopf ziehen und sich selbst abschaffen?

Freitag, 23. September 2016

Dienstag, 20. September 2016

Brief an Camus

Ich beneide Sisyphos. Nicht nur, weil ihm eine Aufgabe zugewiesen wurde, die ihn von der zermürbenden Freiheit befreit hat, sich ein Ziel suchen zu müssen, sondern vor allem, weil er diese Aufgabe jeden Tag aufs Neue ausüben darf. Da er den Gipfel nie erreicht, beginnt die Aufgabe immer wieder im Tal, tagein, tagaus. Der Träger des Steins verfolgt sein Ziel jeden Tag erneut mit dem abenteuerlichen Elan, der nur im Anfang steckt. Sisyphos nützt diese Anfangseuphorie, er schiebt nicht auf, weil er nicht aufschieben kann, er lässt den Elan weder verpuffen noch einbremsen, weil ihn plötzliche Zweifel und Ablenkungen aus dem Tritt bringen. Er muss nicht suchen, nicht warten, nicht zögern. Er muss keine Bewerbungen schreiben und keine Versicherungen abschließen. Er muss einfach nur Tun. Er ist der notgedrungene Philosoph, der jeden Tag lebt, als wäre es sein erster.

Ich sitze an meinem Schreibtisch und verzweifle über dem Wordpapier, dem digitalen Blatt, das nicht und nicht gefüllt werden will, weil ich so lange und verkrampft über dem ersten Satz brüte, bis ich die Schale des Gedankens zerbreche und sein flüssiges Inneres mir entschwindet. Ich warte und warte und warte auf den ersten Satz, der heute brillant aufsteigen muss, nur um morgen schon wieder auf die schlechte Seite zu fallen. Anstatt einfach den Stein hinauf zu rollen, ohne seine Form und sein Ziel zu bewerten und zu zerdenken. Einfach nur rollen.

Ich bewundere Sisyphos und ich bewundere seine Arbeit. Sie ist so wunderbar ehrlich und persönlich, wie alles Sinnlose. Und doch betreibt er seine Aufgabe mit einer Ernsthaftigkeit, als wäre sie unendlich wichtig, wozu sonst nur Kinder und Narren imstande sind. Er rollt den Stein, als hänge die Welt davon ab; und in gewisser Weise tut sie das auch.

Das Allerschönste an der Aufgabe ist, dass er seinen Stein auf den Berg rollen darf. Es ist nicht irgendein Stein, den Sisyphos tagein, tagaus zum Gipfel bringt. Es ist immer derselbe Stein. Sisyphos wurde dieser eine Stein zuteil, der nur ihm gehört, der sein wahrer, inniger und ewiger Lebensgefährte ist, der nur von ihm berührt, gewendet, gehegt, beschimpft, gehasst und geliebt wird. Er kennt alle Stellen an diesem Stein, kennt seine guten und schlechten Seiten, seine Risse, Dellen, Flecken und Moose, jedes noch so winzige, besondere Kennzeichen. Würde ihm der Stein abhanden kommen, er könnte jederzeit ein perfektes Vermisstenprofil erstellen. Bei jeder TV-Show könnte er den Stein blind ertasten und unter tausenden wiederfinden. Er könnte sogar beschreiben, wie der Stein riecht.

Tagein, tagaus mit demselben Stein zu verkehren, ihm jeden Tag zu begegnen, als sähe man ihn zum ersten Mal – ist eine persönlichere, liebevollere Beziehung denkbar? Ich starre in all diese unpersönlichen Bits und Bytes, Nullen und Einsen, zweifelnd, suchend, wartend und überfordert von den immensen Möglichkeiten der einsamen Auswahl, die jeder Tag mit sich bringt. Und alles, wovon ich träume, ist eine Aufgabe, die sich selbst genügte, eine innige, persönliche Beziehung zu meinem Lebenswerkzeug, das mir jeden Tag die Route vorgibt und sich von mir vertrauensvoll leiten lässt, als kannten wir einander seit ewigen Zeiten. Der Traum, einfach nur rollen.

Einmal nur mit Sisyphos tauschen zu dürfen, wer wünschte sich das nicht? 

Sonntag, 11. September 2016

Übung

Ich versuche für gewöhnlich, jede Nacht zu schlafen. Dennoch habe ich nicht das Gefühl, sonderlich gut darin zu sein.

Montag, 5. September 2016

Schwarze Spielkegel

Ich spaziere ziellos an der Uferpromenade der Stadt entlang, erspähe einen ausgewachsenen Schwans im Wasser und denke: der dunkle Bereich von Schnabel bis Auge sieht aus wie ein Spielkegel, ein überdimensionaler, schwarzer Spielkegel, entwendet von einem überdimensionalen Spielbrett einer angebrochenen Halmapartie, die seither und bis in alle Zeit auf ihre Fortführung warten muss. Einmal gedacht, ist mein Gedanke nicht mehr auszulöschen; er ist unumkehrbar mit der Welt (meiner Welt) vernetzt; und jedes Mal, wenn ich fortan einen Schwan sehe, muss ich ebenso den gestohlenen Spielkegel sehen, der sich mitten im Gesicht des ahnungslosen, gefiederten Schönlings versteckt.

Mit jedem neuen Gedanken wächst die weltliche Anschauung, die allein in meinem Inneren existiert – und doch nur existiert dank ihren äußeren Impulsen, dank des ziellosen Ausgangs, dank den Schwänen an der städtischen Uferpromenade. Mein unwiderruflicher, unendlich persönlicher (sprich: sinnloser) Gedanke, ausgelöst durch die Ausgangsstunde zwischen Internet und Dienst: Er ist der seltene Moment des beglückenden Austauschs zwischen mir und der Welt, eine meiner seltenen persönlichen Errungenschaften im Verkehr mit dem Außen, der mir das so seltene Gefühl verleiht, einfach da zu sein. Aus mir und in die Welt zu gehen.

Das allein ist es, was mich jeden Tag dazu bewegt, weiterzugehen. Ich möchte keinen Grund, keine schriftliche Sinnverpflichtung, möchte keine Rechtfertigung ablegen gegenüber meinen Tagen; ich möchte einfach nur große, schwarze Spielkegel in Schwänen verstecken.