Samstag, 27. Januar 2018

Wahrscheinlich Gold

Ein neues Kalenderjahr, ein neues Objekt: Wieder ist alles anders, Touristenenge und Funkverkehr sind wieder passé, stattdessen schickt mich die Arbeit in die winzig kleine Antithese zu Fürstenpalais und Museumsschloss, schickt mich in ein modernes Ersatzteillager, einer Art Museum auf Abruf – ein offener, diskursiver, heller, zahnarztweißer, kleiner Kunstraum für städtische Ankäufe und jugendliche Entdeckungen. Das Gebäude selbst entdeckt leider fast niemand, ich betrete ein schüchternes Schmuckkästchen, das gerade den Besitzer wechselte und nicht recht weiß, für wen es nun funkeln soll; die neue Museumsleitung scheint niemanden im Haus zu erfreuen, eher zu beunruhigen (wie wird es weitergehen, und wo soll das sein?). Ich kann nicht mitreden, nur zuhören, wie so oft, versuche nachzuvollziehen, wie politisch (un)motivierte Kulturentscheidungen getroffen werden und wozu ich überhaupt hier bin.

Über Stunden und Tage werde ich erstmal eingeschult, und das heißt: schau dir die Kunst an, zähl die Gäste, sei freundlich, fühl dich wie zuhause, nimm noch eine Tasse Kaffee. Ich sitze mit den Kollegen hinter der Kassentheke – tatsächlich, ich sitze – warte auf den Andrang, der nicht kommt, lese, was da ist, und freue mich über den Tag, der nicht schlimm ist, der nicht einmal lang ist, sondern einfach nur ist. Ein Fastentag, der nichts braucht und nichts vermisst.

Heute sind wir zu dritt und zu viele, ein junger Mitarbeiter vom Haus, ein Firmenkollege und ich. Der Firmenkollege ist bekannt, ich traf ihn bereits in mehreren Objekten, er ist einer dieser bewundernswerten, offenen Menschen, die immer etwas erzählen können und sich mit kindlicher Ausdauer an sinnfreien Leidenschaften erfreuen. Sein Steckenpferd? Die Goldgräberei. Da gibt es diese Schatzsucherdoku auf einer Insel, jeden Sonntag, ein Pflichttermin. Ob ich nicht glaube, dass die Sendung echt ist? Nein, das kann natürlich schon alles inszeniert sein, klar, aber wie spannend das gemacht ist, sagenhaft! Obwohl die ja nie etwas finden (außer Enttäuschung), und heute Abend gleich wieder, gleich eine Doppelfolge, nein, da muss alles passen, Cola, Chips, alles griffbereit. Klar.

Nein, er wisse schon, das ist vielleicht nichts, aber man muss sie sich behalten, diese kleinen Siege, und außerdem erhält man da wertvolle Tipps. Immer wieder kommt er an diesem Museumssonntag auf die Insel und das Goldthema zurück, und ich merke bald, dass ihn die Goldgräberei wirklich beschäftigt. In den besucherleeren Stunden googelt er Metallsuchgeräte, zeigt mir einen Anbieter in der Stadt, wägt den Preis ab, erzählt von seiner Herangehensweise: Man muss bei den lokalen, heimischen Sagen anfangen, dort ist der Start. Man muss lesen und aussieben, in welchen Tälern von Gold die Rede ist, und dort beginnen. Ja, natürlich ist es unwahrscheinlich, dort noch was zu finden, aber wenn!

Der Tag geht weiter und weiter, das Außenlicht nimmt langsam ab, noch eine Stunde. Irgendwann erwähne ich, dass ich schreibe, der Kollege gibt mir ein paar Tipps von Stephen King weiter, wir reden über Texte und Wahrscheinlichkeiten, bis sich schnell wieder die Insel in den Vordergrund drängt … und diese endlose Suche nach diesem verfluchten Goldschatz, von dem niemand sicher weiß, ob er überhaupt existiert. Und vielleicht, denke ich später, vielleicht ist gerade das der Reiz an der Goldgräberei: nach etwas zu schürfen, das vielleicht gar nicht da ist, einer Aufgabe zu folgen, die vielleicht vollkommen sinnlos, ziellos und für immer unabgeschlossen bleibt, und gerade in dieser Absurdität den Traum atmet, in dem es nicht mehr um den eigentlichen Gewinn geht, sondern um das bloße Versinken in der Idee eines Gewinns. Vielleicht (sehr wahrscheinlich) finde ich ein Leben lang nichts – doch ich habe geatmet, ich habe geschürft und ich habe nicht aufgehört.

Kurz vor Schichtende nimmt mich der Kollege zur Seite und sagt mir mit breitem Grinsen, die Wahrscheinlichkeit, dass er irgendwann mal ein echtes Stück Gold findet, ist größer, als dass ich mal von der Schriftstellerei leben kann. Darauf sein Lachen, komödienhaft, und wenig später ergänzt er, das war natürlich nicht ernst gemeint, das wisse ich schon. Ich weiß es, klar, er ist einer von den Guten, den natürlich Guten, die ernsthaft Böses gar nicht aussprechen können. Und doch ist etwas Wahres dran: Denn obwohl sein Vergleich mit dem Schreiben und dem Gold nicht ernst gemeint war, obwohl nur unbedacht im Spaß gesagt, so hat er, ohne es zu wissen, absolut Recht damit.

Und (sehr wahrscheinlich) hat es gerade deshalb seinen Wert für mich.

Dienstag, 23. Januar 2018

Relationen (VIII)

Ich faste; verzichte auf Vollzeitlohn, auf Anerkennung, auf Sicherheit. Ich faste; verzichte auf Zeitmangel, auf Anpassung, auf Selbsttäuschung.

Montag, 15. Januar 2018

Montag, 8. Januar 2018

Ein seltenes Gespräch

„Excuse me, what are they doing?“, fragt mich eine Besucherin mit müder Stimme und deutet auf die großflächige Videoprojektion der Themenausstellung, die ich neuerdings bewache; eine erstaunliche, erhellende, herrlich komische und außerordentlich schöne Ausstellung über das Alter und Altern in all seinen Facetten, ein Konzept, das Malerei, Fotografie und Video selten stimmig vereint. Ich erkläre der Besucherin mit meinem naiven Enthusiasmus, das Video (in dem eine galant gekleidete Seniorengruppe einen paarungswilligen Ausdruckstanz vorführt) sei Teil einer längeren Tanzperformance der berühmten deutschen Choreografin Pina Bausch. Ich erkläre ihr, das Besondere daran sei, dass alle Tänzer und Tänzerinnen bereits älter als 65 wären, was damals, zur Entstehungszeit, im Jahr 2000, eine künstlerische Revolution auslöste, weil alte Körper davor nicht als schön … und das eben das revolutionäre … Ich stocke.

Ein Blick in das Gesicht der Besucherin, er genügt: Sie lauscht meinen bemühten Ausführungen sichtlich unbeeindruckt und mit einem betonten, katzenhaften Desinteresse, die Antwort scheint ihr schon sichtlich zu lang und schon lange zu mühsam; nachdem mein letzter Satz langsam und schwach abebbt, bedankt sie sich müde und geht weiter in die nächsten Räume, wo der Gesichtsausdruck bereits wartet.

Es ist immer wieder bemerkenswert, denke ich, wie viel die Betrachtung eines Kunstwerkes (auch noch des schlechtesten) über den Betrachter aussagt. Die meisten Gäste schmunzeln, kichern und lachen mit diesen liebenswerten, hüftschwingenden Tanzpensionisten aus dem Wuppertal, manche lesen sich aufmerksam den Begleittext zu Pina Bauschs Kontakthof im Kontext durch, andere fragen mich, was die im Video da tun. Und immer wieder erhalte ich solche Fragen, als sei ich (wie jeder Museumsaufseher) ein renommierter, altehrwürdiger Kunstexperte, aber meistens, da folgt der Frage gar kein echtes, reges Interesse an ihrer Antwort, da wird sie allein deshalb gestellt, um sich selbst mitzuteilen. Um mir fragend zu zeigen, was sie für sich bereits glaubt zu wissen. Weil das Urteil bereits feststeht und nur noch fragend verlautbart werden muss. Und egal, welche Antwort darauf kommt, egal, ob sie gefällt oder nicht, besonders, wenn sie nicht gefällt – sie wird egal sein.

Schade, sage ich mir später, ich hätte gerne mit der Besucherin gesprochen. Doch was ist eine Frage, die sich nicht für ihre Antwort interessiert? Sie ist vielleicht Teil einer Unterhaltung, doch sie ist kein Gespräch. Sie ist eine rhythmische Lautfolge, ein fragendes Fallbeispiel für einen bestimmten, in seinen Urteilen überzeugten Charaktertyp – doch sie lässt niemals zu, dass im sinnlosen, rhythmischen Gewackel alternder Hüften ein Stück Schönheit schwingt, sie lässt niemals zu, von einem frischen Gedanken bewässert zu werden, und sie wird nie, niemals die Möglichkeit erfahren, zu einem echten, zu einem seltenen Gespräch zu wachsen – oder irre ich mich?

Freitag, 5. Januar 2018

Diät

Manchmal überfordert mich bereits der Einkauf. Nicht selten verlasse ich den viel zu großen, viel zu vielfältigen Supermarkt mit ein, zwei oder gar keinem Produkt, weil ich wieder einmal nicht sagen kann, worauf ich überhaupt Lust oder gar Hunger gehabt hätte. Es ist die Auswahl, die mich dabei plagt, die Unmengen an Produktvarianten, die sich im tiefkühlkalten Wettbewerb messen, die dutzenden Brotlaibe und Kornwecken, die europäische Wurstunion, das unnötig breite Sortiment an kaum zu unterscheidenden Joghurt-, Milch- und Käsesorten. Es ist immer zu viel, nicht zu wenig, die Regale sind zu lang und zu zahlreich, meine Augen kommen dem Bauch nicht hinterher und bis ich am Ende weiß, wonach ich greifen soll, ist der Hunger meist schon vergangen.

Sie liegt mir einfach nicht, die Konvention der Vorausplanung, der hamsternde Vorratkauf, der immer voran blickt, weit voraus, am nächsten Tag vorbei, wo ich nichts sehe, nicht einmal Hunger. Vorausplanen kann ich nur im Schreiben, und selbst da nur soweit, wie es der Gedanke zulässt, der mich lenkt, motiviert und überrascht. Nie aber überraschen mich die Supermärkte, sie füttern nur mein Zaudern und Überdenken. Der Kühlschrank in meiner Wohnung ist stets halbleer, nicht halbvoll – die Außenmaße sind ihm klar zu weit, und meine überzeugungsbefreite, unsichere Entscheidungsfindung ist keine Hilfe für sein Ansehen.  

Es liegen weder Witz noch Ironie in der Erkenntnis: Es sind meine Zweifel, die mich schlank halten.