Ein Vater, ein Sohn, ein Revolver und ein Einkaufswagen. Graues, zerstörtes Land, Rauch und Dunkelheit und Tod, über allem der Hunger. Der Weg zur Küste, wer weiß, wohin, am Ende der Welt, wer weiß, warum. Die Straße von Cormac McCarthy ist eines der seltenen Bücher, die ich zweimal gelesen habe, vor Jahren schon, und ich erinnere mich, muss oft denken an die frühe Stelle, als der Vater aus unruhigen Träumen erwacht; McCarthy schreibt (sinngemäß), solange wir von Angst und Gefahr träumen, solange ist noch alles gut, es zeigt, dass wir noch kämpfen – gefährlich sind die guten, warmen, verheißenden Träume, sie sind die Vorboten von Trägheit und Tod. Was aber, wenn sich die Stimmungen im Schlaf vermengen, wenn aus dem Angsttraum ein Wunschtraum wird, die Gefahr mit der Sehnsucht ringt, am Ende verbannt wird? Welche Aussicht, welches Gefühl wird dann überwiegen?
Im Traum erhalte ich eine Einladung von Putin, ich sträube mich erst dagegen, will natürlich ablehnen, doch letztlich nehme ich an, gehe zu ihm, in der vagen Hoffnung, meine Einblicke mit der Welt teilen zu können. Vor den Toren seines prunkvollen Anwesens trage ich demonstrativ ein Armband in Blau und Gelb, sofort wird mir befohlen, es abzunehmen. Putin selbst redet wenig, ich werde zu Tisch gebeten und sitze in einem hohen Prunksaal mit offener Galerie, an einer Tafel mit Putin, seiner Tochter, Kadyrow und drei heimischen Politikern, von denen ich schnell verstehe, dass sie auf Putins Gehaltsliste stehen. Das Essen verläuft lange Zeit ruhig, die Stimmung ist gedämpft, leise und zurückhaltend wird sich vom unendlichen Buffet im Nebenzimmer bedient, bis der Abend plötzlich und unerwartet eskaliert – auf der Galerie unter der hohen Decke steht ein Schütze, der auf Putins Zeichen hin Kadyrow ausschaltet; als sich die drei heimischen Politiker weiter einmischen und aus wirtschaftlichen Gründen Kritik am Krieg üben, wird das Feuer auch auf sie eröffnet, Chaos bricht aus, ich springe vom Stuhl und verschanze mich hinter einem umgeworfenen Tisch, jetzt wird von allen Seiten geschossen, die Politiker sind längst hinüber, und es ist Putins Tochter, die mich rettet, sie zeigt mir den Weg hinaus, in die Freiheit, ich entkomme knapp.
Schutzsuchend verstecke ich mich im Haus meiner Kindheit, doch es dauert nicht lange, bis mich Putin und sein Gefolge aufspüren, wissen wollen, mit wem ich bereits geredet habe. Und wieder ist es Putins Tochter, die mir aushilft, sie findet mich am Schwimmbeckenrand hinter dem Haus, erklärt mir, was ich sagen muss, damit ihr Vater mich verschont – doch sie spielt ein doppeltes Spiel, ihre warme, verheißende Freundlichkeit ist in Wahrheit eine Falle, sie nimmt meine Worte auf und spielt sie ihrem Vater vor, meine Stimme rauscht aus ihrem Handy, und plötzlich fühlt sich Putin ganz persönlich angegriffen, plötzlich will er die Sache selbst erledigen, will mich nicht einfach zum Schweigen bringen, er will mich vernichten; ich flüchte verzweifelt in die Werkstatt, sperre hinter mir zu, es gibt keinen Ausweg. Während ich mein Schicksal erwarte, sammle ich letzte Kräfte und Gedanken, und auf einmal verstehe ich, begreife, dass es nur eine Möglichkeit gibt, dass nur noch etwas hilft – ein Zauber.
Als Putin die Tür aufreißt, schleudere ich ihm den Staub ins Gesicht und spreche die Formel, und sofort verschwindet er; seine Gestalt verwandelt sich in eine flackernde, papierdünne Miniatur von ihm, dazu verdammt, durch die Ritzen des Hauses zu geistern, ohne sich jemals fangen zu lassen, ohne je entkommen zu können – je öfter sie erblickt wird, umso winziger wird sie. Putins Handlanger tauchen bei mir auf, fragen, wo er sei. Er ist weg, sage ich. Wir werden ihn suchen, erwidern sie, jahrelang, wenn es sein muss. Das können sie gerne tun, denke ich erschöpft, doch sie werden nichts finden.
Als ich verschwitzt aufwache, ist seit zwei Wochen Krieg in Europa, niemand versteht, warum, und ich sehe und denke nur eines, im kalten Dunkel der Ungewissheit: Es gibt zu wenig Magie in der Welt.