Kürzlich träumte ich von einem Kollegen, einem schrulligen, freundlichen Mann in meinem Alter (gefühlt in meinem Alter), Hornbrille, Topffrisur, ein talentierter Kunstfotograf, der seine bescheidenen Brötchen in der Aufsicht verdient, wie so viele Künstler und Fotografen vor ihm, und in meinem Traum erhält er einen Preis für eines seiner Bilder – ich freue mich unheimlich für ihn, ich weiß, dass er den Preis verdient hat, und doch bin ich traurig, weil ihm die Ehre erst jetzt zuteil wird; er bekommt die Auszeichnung posthum.
Zwei Monate zuvor erhalte ich die Nachricht, dass der Kollege verstorben ist. Sie trifft mich aus dem Nichts, trifft mich hart, obwohl ich ihn nicht besonders gut kannte, ihn schon lange nicht mehr gesehen hatte, doch sein Tod geht mir ehrlich nahe, und mich überkommt eine seltsame und seltene Wut, wie damals, als Philip Seymour Hoffman starb, und der erste Gedanke war: „Warum gerade der?“ Als wäre Talent jemals ein Kriterium für den Tod.
Ich erinnere mich an meinen letzten gemeinsamen Dienst mit dem verstorbenen Kollegen (dessen Todesursache ich nicht erfahren habe), es war noch im Frühjahr, während der Sonderausstellung des fürstlichen Doppelkinns, und in einer Pause fanden wir etwas Zeit für eine kurze Unterhaltung. Wir waren beide fasziniert von dem rasanten Aufstieg der künstlichen Intelligenz, den Möglichkeiten und Gefahren, die sie mit sich brachte, und wir fragten uns, was der Begriff der Künstlichkeit für die Zukunft unserer Zunft bedeutet. Wie immer stand ich auf der ängstlicheren Seite, sah die Risiken, wenn das Werkzeug stärker wird als die Hand, die es führt, und es jetzt schon schwer zu unterscheiden fällt, welche Kunst echt (von Mensch gemacht) und künstlich (von der Maschine gemacht) ist. Was zur Frage führt, wie wir damit umgehen werden, wenn sich die Unterschiede ganz aufheben.
In diesem Moment sagte mir der Kollege etwas, das ich sofort notieren musste, eine Sichtweise, eine Erkenntnis, an die ich immer wieder zurückdenke, seit ich vom Tod dieses uneitlen, immer lächelnden Lebenskünstlers erfahren habe: Wenn Kunst künstlich erzeugt werden kann, meinte er, also ohne das schöpferische Zutun des Menschen, dann muss man in Zukunft vielleicht nicht die Kunst selbst, sondern den Menschen neu positionieren.
Noch ist die Maschine vom Menschen abhängig (und nicht umgekehrt), doch wenn sich die künstliche Intelligenz eines Tages nicht mehr auf die Informationen stützen muss, mit denen wir sie füttern, sprich: wenn sie vollkommen schöpferisch agiert, und menschliche Authentizität in der Kunst nichts mehr bedeutet, wenn Werke ohne Autor den Markt regieren, dann stellt sich tatsächlich die Frage, welche Position für den lebenden Künstler, die lebende Künstlerin noch bleibt.
Ich habe keine Antwort darauf. Ich wünschte bloß, ich könnte das Gespräch mit Kollegen noch ein wenig fortsetzen, und müsste ihm nicht posthum diesen Text widmen.