Sein Leben bestehe im Grunde aus vier Dingen, soll Borges
einmal gesagt haben. Lesen, Denken, Schreiben und Genießen. Letzteres, fügte er
an, sei ihm das Wichtigste gewesen. Warum aber fällt es oft so schwer,
bedingungslos zu genießen, warum wirkt dieses Empfinden wie die Ausnahme und
nicht die Regel? Anders gefragt: Warum fällt es so schwer, in dem Moment zu
sein, in dem Moment sein zu wollen?
Ich denke, es ist so: Ich kann den Moment deshalb nicht
genießen, weil ich eigentlich nicht hier sein möchte. Genuss erfordert
vollkommene Akzeptanz der Gegenwart, die aus Zeit und Raum besteht. Und am Raum
scheitert es; wenn ich die vierte, fünfte Stunde im Museum stehe, wehen meine
Gedanken schon dem Ende der Schicht entgegen, sehnen sich nach dem Andernorts.
Warum? Weil ich Hunger habe, weil die Sohlen brennen, weil ich Lesen,
Schreiben, Schlafen möchte. Dinge, die ich in einer Monet-Retrospektive einfach
nicht tun kann. Dinge, die der Dienstanzug nicht zulässt.
Dabei wäre jede Arbeit, jeder Museumsdienst so viel
angenehmer, wenn ich ihn einfach bedingungslos annehmen würde, wenn ich die
Tätigkeit ohne Sehnsucht genießen könnte. Ich kann eine Dienststunde nicht
genießen, das heißt nichts anderes als: Ich möchte nicht hier sein. Ich möchte
an meinem Esstisch, an meinem Schreibtisch sitzen, möchte mich im
Lichtspielsaal verstecken, die Luft am Flussufer atmen, Kaffee aufsetzen,
vielleicht verreisen. Weil es nicht geht, werde ich ungeduldig, frustriert,
apathisch, im schlimmsten Fall verbittert. Jedes schlechte Gefühl ist ein
Produkt des unglücklichen Zwanges, in einer Situation sein zu müssen, aus der
man nicht raus kommt. Oder rauskommen könnte, aber sich vor den Konsequenzen
scheut. Ein bemüht oberflächliches Gespräch mit einem Kollegen, der mir nichts
sagt: Ich wünschte, ich wäre nicht hier. Jede schmerzhafte, peinliche
Kindheitserinnerung kennt diesen Gedanken, den ersten Gedanken im Moment der
Entblößung: Ich wünsche mich an einen anderen Ort. Ich wünsche mich überall
hin, nur nicht hier, nur nicht in diesen Moment, von dem ich weiß, dass er sich
einprägen wird. Das Gegenteil von
Genuss: Scham.