Sonntag, 5. Dezember 2021

Die Kassiererin

In den Wochen, in denen das Land sich wieder herunterfährt, in einen erzwungenen Sparmodus wechselt, um Kontakte zu verringern und Krankenhäuser zu entlasten, wirkt der Gang in den Supermarkt wie ein letzter, rebellischer Akt sozialer Interaktion.

Während die Museen wieder verschlossen, die Kultur wieder abgesagt ist, trete ich in den Supermarkt, um meinen bescheidenen Wochenendeinkauf zu erledigen; bescheiden, weil ich nicht weiter vorausdenken kann, vielleicht gar nicht weiter vorausdenken will. Mit fünf säuerlichen Äpfeln Marke Kronprinz, Toastbrot, Nudeln und der Zeitung reihe ich mich ein an der einzigen besetzten Kassa und erkenne die Mitarbeiterin schon von weitem. Eine junge Rothaarige sitzt dort hinter dem transparenten Schutzschild, sie erinnert an die schottische Titelheldin aus dem schönen Pixar-Film, doch sie schultert keinen Bogen, sie ist keine Prinzessin, sie hält „nur“ den Laden, das Land am Laufen. 

Entgegen der Empfehlung zahle ich bar, als ich vor ihr stehe, und bei der Rückgabe des Wechselgeldes berühren sich unsere Hände, nur einen Moment berühren sie sich, doch etwas passiert in dieser Sekunde, sofort löst sich ein Gedanke; ich stelle mir vor, mein eigener Protagonist zu sein, in einer Geschichte, die ich vielleicht nie schreiben werde: Der Held, der natürlich keiner ist, lebt in einer schwierigen, verwirrenden Zeit, er sehnt sich nach Wärme und Nähe, die ihm niemand gibt, und er geht in den Supermarkt, jedes Mal in den gleichen Supermarkt, in der Hoffnung, dort die junge rothaarige Kassiererin zu treffen, die er schon von weitem erkennt, und er bezahlt jedes Mal bar, in dem Wissen, dass sich beim Erhalt des Wechselgeldes ihre Hände berühren werden; er geht jeden Tag in diesen Supermarkt, bei jedem Wetter, er kauft sich Dinge, die er vielleicht gar nicht braucht, vielleicht eine Pixar-DVD, nur um den Moment zu erleben, in dem sich ihre Hände berühren, was für die Kassiererin eine ganz normale Geste darstellt, doch für ihn ist es mehr, diese Sekunde hat Bedeutung, sie berührt ihn, sie hilft ihm durch diese Zeit.

Und er weiß, dass er sich zuerst die Hände waschen muss, wenn er nach Hause kommt, und er tut es, genauso gründlich wie glücklich – die Kassiererin gibt ihm den Grund dazu.