Donnerstag, 13. Juli 2023

Der melancholische David

Seit 500 Tagen wütet jetzt schon der Krieg in der Nachbarschaft, nur zwei Grenzen entfernt, während ich Woche für Woche die barocken Schlachtengemälde eines Peter Paul Rubens bewache (die erst kürzlich wieder aus der Restaurierung zurück sind). Zu Beginn, da wurde die abgewehrte Invasion, die Verteidigung gegen diesen Angriffskrieg pathetisch beschrieben als ein neues, biblisches Duell David gegen Goliath, kleine und große Medien haben den Vergleich aufgenommen, ihn immer wieder stur und willig wiederholt – und nichts könnte falscher sein.

Ein Duell ist eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe, ein angesetzter Zweikampf unter gleichen Voraussetzungen, für den geltende Regeln festgelegt wurden – zu einem Duell trifft man sich, es braucht eine Vereinbarung; Krieg ist das Gegenteil der Vereinbarung. Es ist dumm, es ist gefährlich, von einem Duell zu sprechen, weil es die Voraussetzungen verfälscht, außer Acht lässt, was wirklich passiert ist: ein freies Land wurde überfallen, es wird besetzt und zerstört, ohne Rücksicht auf ein Regelwerk, auf Einverständnisse, auf alles. Dass sich der Überfallene zur Wehr setzt, dass sich die Verhältnisse am Schlachtfeld umkehren, das macht es nur verführerisch (und viel zu einfach), den verkitschten David-Vergleich zu bemühen, die ewige hollywoodsche Sehnsucht nach der unwahrscheinlichen Erfolgsgeschichte, dem romantischen Triumph des Underdogs gegen eine tumbe, überhebliche Übermacht.

Es gibt viele, unzählige Bilder und Statuen des David in der Kunstgeschichte, in der ganzen Welt sind zu verteilt, doch jene Darstellung, die mich am allermeisten bewegt, sie hängt ausgerechnet hier, in meiner Stadt; in einem der schönsten hiesigen Museumshäuser (das ich ausnahmsweise privat durchgehen darf), hier hängt Caravaggios David mit dem Haupt des Goliath; es ist kein spektakuläres Gemälde, in der Größe überschaubar, fast schüchtern, zurückhaltend, auf den ersten Blick, und vielleicht zieht es mich gerade deshalb in seinen Bann. Aus der Schwärze des Hintergrunds löst sich der junge Heroe, hält den abgetrennten Kopf des Feindes hoch und schultert das Schwert, während der Blick ernst, konzentriert, etwas müde zur Seite schaut. Caravaggio zeigt uns diesen David unmittelbar nach seinem Triumph, nachdem er alles erreicht hat – nur warum sieht er dann nicht wie ein Sieger aus?

Caravaggios David präsentiert uns das Haupt des Goliath wie einen Pokal – doch er ist für uns gedacht, nicht für ihn selbst; in Davids Blick scheint keine Genugtuung, keine Euphorie des Geschafften auf, seine Augen suchen nicht die Bühne, das Publikum, sie sehen ins Abseits, von etwas abgelenkt, als wäre er noch jetzt, im Moment des Sieges, in seine Gedanken vertieft. Der nachdenkliche Blick, er befreit ihn von all dem vordergründigen Heldenpathos, denn Helden denken nicht, sie handeln, sie tun die Dinge einfach. Und immer frage ich mich, woran denkt dieser David, jetzt, wo er alles erreicht hat?

Caravaggio lässt ihn dunkel nachsinnen, er macht den Helden zum melancholischen Gewinner. Sein David ist ein Denker, und für einen Denker wird der Sieg nie genug sein – denn schon im Triumph macht er sich Gedanken über die Folgen, über das, was danach kommt, was die Tat mit ihm selber macht; deshalb sehe ich in dem Bild nicht einfach den Sieg, über den alle Welt Bescheid weiß, ich sehe die Ungewissheit, die er mit sich bringt. Ich sehe einen jungen Mann, der entgegen allen Vorzeichen gewonnen hat; der aber auch begreift, was er dafür tun musste. So sehen wahre Sieger aus, die unmenschliches geleistet haben – müde und schwermütig über das Erlebte.

Selbst im Triumph noch einen Hauch von Melancholie in den Augen, das macht mir diesen kleinen David größer und zugleich näher und glaubhafter als jede andere Darstellung des siegreichen Außenseiters.