Nein, auch ich habe zuvor noch nie etwas von Lawrence
Alma-Tadema gehört, jenem holländischen Maler mit dem seltsam staatenlosen Namen,
dessen Werke neuerdings die Ausstellungswände meines Arbeitsziels schmücken.
Werke, die sich – ähnlich wie die großen Albernheiten eines Franz von Stuck –
mit der dekadenten Antike beschäftigen, doch auf ernsthaftere, fast
mathematisch strenge Art und Weise. In geometrischer Perfektion und penibler
Recherche rekonstruiert Alma-Tadema alltägliche Szenentableaus der alten Römer
und, später, der Ägypter, holt die Historie aus ihrer Vergessenheit und
schafft ihr die Bilder, die der amerikanische Kostümschinken Jahrzehnte später
ins bewegte Breitbild verlagern wird.
Ungebrochen sei der Einfluss Alma-Tademas auf Film- und
Kulturgeschichte, will mir die Ausstellung klarmachen, und betont diesen
Umstand in allen Räumen und bei jeder Gelegenheit. Warum aber ist dieser malende
Lawrence von Antwerpen selbst so sehr in Vergessenheit geraten, weshalb sind
seine dokumentarisch anmutenden Gemälde heute nur Phantombilder des
Kunstkanons? Ja, mir ging es ganz gleich, erwidere ich, als mir ein deutsches
Besucherpärchen erklärt, sie hätten noch nie von dem Herren Maler gehört,
bevor ihnen die Ausstellung kürzlich empfohlen wurde; ein Glücksfall, eine
Entdeckung. Aber worin besteht sie?
Der Teufel liegt im Detail. Es ist die detaillierte
Formvollendung seiner Bildmotive, die Alma-Tadema vor hundertfünfzig Jahren zum
Star in England erhob und zum Sir adelte, es ist die detaillierte
Formvollendung, die ihn heute uninteressant und antiquiert erscheinen lässt.
Denn bei aller peniblen Genauigkeit, mit der römische Bäder und antike Jahrmärkte
kunstvoll vermessen werden, da fehlt den meisten seiner Bildern jenes Element, das
Hollywood so melodramatisch hinzufügte – die Emotion. Wunderschön, detailliert,
sagenhaft, das alles, ja – aber berührend? Ein Römer am Blumenstand, Kleopatra
vor den Pyramiden, so könnte es gewesen sein, wie ein Statiker errechnet Sir
Lawrence die antike Architektur; doch statisch bleibt sie auch, in all ihren
Details, bis hin zur zufallslosen Hieroglyphe am Mauerwerk und der
kenntnisreichen Flora im Hintergrund. Die Vergangenheit ist da, doch sie wird
nicht lebendig.
Ich weiß nicht warum, doch Perfektion erscheint mir immer
leblos; als würde sie keine Gefühle dulden, keine unberechenbare
Menschenhaltung erlauben. Deshalb wirken die Menschen in Alma-Tademas perfektionistischen
Bildern vielmehr wie Schachfiguren, die jemand starr und lieblos positioniert
hat, nur um zu gewinnen, dort, am Schachbrett, wo es keinen Spielraum für
Emotionen gibt. Vielleicht ging es Alma-Tadema auch nie um Gefühlsregungen, vielleicht ging es ihm nur um den Sieg der eiskalten Komposition. Vielleicht genügte ihm die reine Oberfläche.
Was dagegen spricht, ist ein düsteres Bild im vorletzten Raum der Ausstellung, ein winziges Detail, das
kaum auffällt, das überhaupt nur im richtigen Lichtfall erkennbar wird. In „Der
Tod des Erstgeborenen“ trauert der Pharao im warmen Katakombenlicht um den
leblosen Sohn in seinen Armen, während am rechten Bildrand ein verhüllter Moses
im kalten Schatten lauert. Der Fokus liegt hier auf dem Gesicht des Pharao, das starr nach
vorne blickt; doch im Gegensatz zum restlichen, umgebenden Figurengut ist dieser Pharao
verletzlich und ambivalent. Menschelnd. Denn die starren Augen in seinem Gesicht, sie sind glasig.
In dem trauernden Blick, da machen sich tatsächlich Tränen breit, so dezent und versteckt, dass
ich sehe, wie der Pharao gegen das
glasige Detail ankämpft.
In diesem Detail liegt all die Trauer, mit der Alma-Tadema ein halbes
Leben selbst zu kämpfen hatte: Sein eigener Sohn starb bereits nach wenigen
Monaten; es war sein erstes Kind. Und es ist diese reale Trauer des Künstlers, die sich im Auge des
Pharao widerspiegelt. Während die anderen Gemälde nur anonyme Antikebewohner
zeigen, sehe ich im Pharao seinen persönlichen Schöpfer. Deshalb ist der Pharao lebendig, deshalb steckt in seiner Darstellung ein Schicksal:
Sir Lawrence kannte nicht das Leben am Römischen Theater, er kannte nicht den Luxus der
Kleopatra – doch er kannte den Schmerz über den Tod des Erstgeborenen.
Das ist der kleine, glasige Unterschied, das eine Detail, das die Ausstellung so traurig wie menschlich macht. Eine Entdeckung.