Der größte Feind des Museums ist der Rucksack. Er ist,
gepaart mit der Unachtsamkeit des Trägers, ein perfider, ein hinterhältiger
Feind, weil er sich seiner Rolle gar nicht erst bewusst ist, und bis zuletzt so
tut, als käme er unschuldig und in Frieden in die Ausstellungsräume, ohne
jeden, gewaltvollen Hintergedanken, den er blind in die Tat umsetzt. Ihn aus
der Masse zu erkennen und zu verbannen, bevor er rücklings zuschlägt, ist ein
kompliziertes Unterfangen, das wache Augen und klare Worte verlangt.
Erschwerend hinzu kommt die Unschärfe der Hausordnung, die ein Rucksackverbot
zwar ausschreibt, aber immer eine winzige Hintertüre für den Feind offen lässt – kleine bis mittlere Rucksäcke in die Hand oder vor den Körper, große Rucksäcke in die Garderobe.
Aber wo endet „klein“ und wo beginnt „groß“? Und wenn sich
ein Gast dagegen wehrte? Wenn er laut wird? Wenn er erklärt, seine Medizin sei
im Rucksack, die er während der zwanzig Minuten im Museum zum dringenden Überleben
braucht? Ein klares Verbot würde diese Fragen abwürgen, den Feind in die Flucht
schlagen, ohne jeden Verlust. Doch Verbote sind eben niemals das, sonst gäbe es
keine Gerichte in der Welt, und ich lebe in einem Kulturkreis, in dem jedes Verbot noch Platz für Kompromisse schafft, wodurch letztlich die Frage,
ob der Feind ins Museum darf oder nicht, nie am Papier hängen bleibt – sondern
an mir.
An einem gewöhnlich gut besuchten Nachmittag im ersten Stock
der Tourismussammlung, da erkenne ich zwei grelle Feindspuren an den Schultern
einer Dame, kämpfe mich durch die Masse zu ihr hindurch und spreche sie mit der
typischen, fast automatisierten, englischen Floskel an, „please put your
backpack in your hands“. Sie tut es widerwillig und stumm, wie die meisten,
doch ein schwerer Mann in kurzen Hosen fährt mich plötzlich von der Seite an,
laut empört und mit süddeutschem Akzent, warum ich sie auf Englisch anrede. „Glauben Sie, die kann kein
Deutsch, nur weil sie schwarz ist?“
Wie so oft bin ich zu langsam, um etwas Sinnvolles zu
entgegnen, und das seltsame Paar schon wieder im nächsten Raum, weil der
schwere Mann ohnehin nicht mit mir, sondern gegen mich reden wollte, wie die
meisten. Und dennoch hallen seine Worte noch über Stunden in mir nach und
haken sich in einer dunklen Gedächtnisecke fest. Gut neunzig Prozent aller
Museumsgäste hier sind nichtdeutschsprachige Urlauber, doch der Kerl in den
kurzen Hosen nennt meine bemühte Effizienz einen Rassisten. Das wäre noch nicht
weiter interessant, die Leute diffamieren mich gern, wer kann es ihnen
verübeln; interessant ist, wie die kurzen Hosen ihre schwarze Freundin
bevormundeten, wie sie ganz selbstverständlich für sie sprachen und sie auf ein
armes, unpassendes Opferklischee reduzierten, auf das ich von alleine nicht gekommen
wäre. Wieso glaubte dieser Kerl, sie für etwas verteidigen zu müssen,
was gar nicht zur Debatte stand? Wieso empörte er sich lautstark, während sie
nicht einmal still davon getroffen wirkte? Wozu der stramme, unbeteiligte
Widerstand?
„Jede Widerstandsgeste, die kein Risiko in sich birgt, ist
geltungssüchtig“, hat Stefan Zweig einmal notiert, und hier und
heute muss ich an diesen Satz des Weltbürgers denken, während die Stunden langsam im Parkett
versickern. Eine flüchtige Empörung, die sich umgehend in den nächsten Raum
bewegt, die keine Konsequenz befürchtet, weil sie sich nur deshalb äußert, die Widerstand mit Wichtigmachen verwechselt, sie scheint
mir einer der verzichtbarsten Nebeneffekte des wundervollen Wohlstands zu sein. Sie hilft weniger, als sie verhindert, weil sie gar nicht am Gespräch interessiert
ist, weil sie die richtigen Probleme an den falschen Stellen hortet und sich
letztlich nie um das Wohl des anderen, sondern nur um das eigene kümmert,
ähnlich dem kurzsichtigen Netzkommentar, der nie über seine Rage hinaus sieht.
Und während die nächsten potentiellen Feinde bereits die
Treppe hochkommen, wird sich das Ego in den kurzen Hosen zurechtrücken und das Museum aufrecht und zufrieden verlassen, wie die meisten.