Montag, 8. Januar 2018

Ein seltenes Gespräch

„Excuse me, what are they doing?“, fragt mich eine Besucherin mit müder Stimme und deutet auf die großflächige Videoprojektion der Themenausstellung, die ich neuerdings bewache; eine erstaunliche, erhellende, herrlich komische und außerordentlich schöne Ausstellung über das Alter und Altern in all seinen Facetten, ein Konzept, das Malerei, Fotografie und Video selten stimmig vereint. Ich erkläre der Besucherin mit meinem naiven Enthusiasmus, das Video (in dem eine galant gekleidete Seniorengruppe einen paarungswilligen Ausdruckstanz vorführt) sei Teil einer längeren Tanzperformance der berühmten deutschen Choreografin Pina Bausch. Ich erkläre ihr, das Besondere daran sei, dass alle Tänzer und Tänzerinnen bereits älter als 65 wären, was damals, zur Entstehungszeit, im Jahr 2000, eine künstlerische Revolution auslöste, weil alte Körper davor nicht als schön … und das eben das revolutionäre … Ich stocke.

Ein Blick in das Gesicht der Besucherin, er genügt: Sie lauscht meinen bemühten Ausführungen sichtlich unbeeindruckt und mit einem betonten, katzenhaften Desinteresse, die Antwort scheint ihr schon sichtlich zu lang und schon lange zu mühsam; nachdem mein letzter Satz langsam und schwach abebbt, bedankt sie sich müde und geht weiter in die nächsten Räume, wo der Gesichtsausdruck bereits wartet.

Es ist immer wieder bemerkenswert, denke ich, wie viel die Betrachtung eines Kunstwerkes (auch noch des schlechtesten) über den Betrachter aussagt. Die meisten Gäste schmunzeln, kichern und lachen mit diesen liebenswerten, hüftschwingenden Tanzpensionisten aus dem Wuppertal, manche lesen sich aufmerksam den Begleittext zu Pina Bauschs Kontakthof im Kontext durch, andere fragen mich, was die im Video da tun. Und immer wieder erhalte ich solche Fragen, als sei ich (wie jeder Museumsaufseher) ein renommierter, altehrwürdiger Kunstexperte, aber meistens, da folgt der Frage gar kein echtes, reges Interesse an ihrer Antwort, da wird sie allein deshalb gestellt, um sich selbst mitzuteilen. Um mir fragend zu zeigen, was sie für sich bereits glaubt zu wissen. Weil das Urteil bereits feststeht und nur noch fragend verlautbart werden muss. Und egal, welche Antwort darauf kommt, egal, ob sie gefällt oder nicht, besonders, wenn sie nicht gefällt – sie wird egal sein.

Schade, sage ich mir später, ich hätte gerne mit der Besucherin gesprochen. Doch was ist eine Frage, die sich nicht für ihre Antwort interessiert? Sie ist vielleicht Teil einer Unterhaltung, doch sie ist kein Gespräch. Sie ist eine rhythmische Lautfolge, ein fragendes Fallbeispiel für einen bestimmten, in seinen Urteilen überzeugten Charaktertyp – doch sie lässt niemals zu, dass im sinnlosen, rhythmischen Gewackel alternder Hüften ein Stück Schönheit schwingt, sie lässt niemals zu, von einem frischen Gedanken bewässert zu werden, und sie wird nie, niemals die Möglichkeit erfahren, zu einem echten, zu einem seltenen Gespräch zu wachsen – oder irre ich mich?