Seit seiner Geburt lebt Rudolph mit einer missgebildeten
Nase. Sie macht ihn anders, sie macht ihn allein. In der Schule: keine Freunde,
zu Hause: keine Liebe. Und egal, was er tut und versucht, egal, wie freundlich,
bemüht, hilfsbereit, offen und gut er sich auch gibt, im ganzen Dorf wird er
gemieden, gemobbt, ausgeschlossen und mit Blicken erniedrigt, die seine Nase
wie ein Verbrechen verurteilen. Schon bald wird er traurig, scheu, zuletzt
verbittert. Er schottet sich immer mehr von einer Welt ab, die keinen Platz für
sein Aussehen kennt, er zieht sich zurück in die tiefen Wälder, er vegetiert
wie ein Tier. Ein Rudeltier ohne Rudel.
Jahre später, in einer dunklen, todkalten Winternacht trifft er auf einen bärtigen
Geschäftsmann, der verirrt und verzweifelt durch das Schneegestöber wankt. Rudolph erkennt
ihn sofort wieder, erinnert sich schmerzvoll zurück an die Demütigung eines Sommers, als er
sich für die Stelle bewarb, die perfekte Stelle im Unternehmen des Bärtigen, er wurde sogar zum Gespräch geladen, doch
ein Blick in Rudolphs Hässlichkeit und die Stelle war besetzt. In dieser Nacht
aber, da steht der Geschäftsmann hilflos vor ihm, im roten Maßanzug, zitternd, frierend; seine
Knie sacken in den Tiefschnee, er bettelt, er weint, er brüllt, er fleht Rudolph
an, ihm den Weg aus den verfluchten Wäldern zu zeigen. Mitleidig starrt Rudolph
hinab auf das rote Elend. Zögert, denkt nach. Er, der Verstoßene, der dem Leben
nichts schuldet, der niemals Hilfe erfahren hat, er soll plötzlich helfen. Und
er hilft. Er, der die Wälder kennt wie niemand sonst, er führt den Halberfrorenen durch Schnee und Finsternis, er führt ihn – ohne je etwas dafür zu fordern – heil zurück ins warme
Dorf, zurück zu seinen Verbündeten, zu seinen Kindern, in die Arme derer, die
ihn lieben.