Montag, 7. Mai 2018

Der Nichtkönner

Wie kann ich wissen, ob ich etwas kann? Wusste Joyce, als er 1920 an seinem Pariser Schreibtisch saß, dass er etwas schreiben konnte, dass später der Ulysses wäre?

Wenn ich aber nur im Zweifel schreiben kann (und das will ich glauben), wie kann ich dann gleichzeitig das Vertrauen zu mir selbst aufbauen, dass es braucht, um irgendeine Tätigkeit im Leben fortzusetzen? Wenn ich mir die Zähne putze, weiß ich, dass es klappt. Wenn ich schreibe, weiß ich nichts (sicher). Ich habe einen Gedanken, der mich drängt, eine Idee, ihn festzuhalten, doch ich kann nicht sagen, welche Worte es dafür braucht, bin nicht überzeugt, dass ich das Blatt so abschließen kann, wie ich es mir wünsche. Denn zuallererst ist Schreiben Wunsch – erst mit ihm kommen die Zweifel. Ohne Wunsch, ohne Vorstellung von irgendeiner Art von Ziel, kann es auch nie einen Zweifel daran geben.

Wenn ich aber versuche, den Stein einfach zu rollen, die Erwartung auszuschalten und nicht an den Wunsch des Gipfels zu denken, so verfolgt mich immer noch die Selbstwahrnehmung: Ich sehe mir selbst zu, und ich sehe, dass die Art und Weise, wie ich den Stein rolle, schlecht ist. Dass ihn jeder andere Autor besser rollen könnte und auch kann. Und sobald ein Gedanke schlecht ist, werden es alle: Alles, was ich tue, ist schlecht. – Das stimmt so nicht, ist praktisch nicht haltbar, und doch kommt sie immer wieder, die Wahrnehmung, die mich tadelt und straft, mich vom Stift abhält, mich bremst und zurückwirft und aus dem Schreiben bringt, weil ich es eben nicht kann. Alle paar Tage möchte ich mit dem Schreiben aufhören, nur um die Stimme loszuwerden, die mir sagt, dass ich schlecht bin, dass ich es einfach nicht kann und niemals können werde, dass auch dieser Satz im Grunde unbrauchbar und streichfähig ist und ich es gar nicht erst zu versuchen brauche, am Besten sofort abbreche.

Aber auch das schaffe ich nicht. Und vielleicht schreibe ich letztlich nicht trotz, sondern wegen den Niederlagen, den Zweifeln, Widerständen, maßlosen Wünschen. Nicht trotz, sondern wegen der verzerrten, verlässlichen Wahrnehmung, ein Nichtkönner zu sein.

Denn wenn ich nichts kann, kann ich mit dem Schreiben auch nicht aufhören.