Ende April. Ich stehe noch einmal im Glaskasten für moderne
Kunst, mache die Pausenablöse für meine eingestandenen Kollegen. Ein dankbarer
Dienst, die Pausenablöse, ein jeder freut sich, wenn er dich sieht, wenn er
dich aus der Ferne kommen sieht, als würde er einen fernen Verwandten wiedersehen,
einen geliebten, geschätzten Menschen, der nur selten zu Besuch kommt, dafür
immer etwas mitbringt. Ich bringe Pause.
Mir selbst bringt der Ablösedienst bedingte Abwechslung,
hält mich nicht an einer einzelnen, sturen Position fest, sondern lässt mich
von Raum zu Raum, von Kollegen zu Kollegin wandern, dreißig Minuten, zwanzig
Minuten, fünfzehn Minuten. Drei Pausenrunden, dann ist der Dienst auch wieder ausgestanden
(das Wort war nie treffender), dreimal erster Stock, Ticket, und Halle – da, wo
die neue Gruppenausstellung stattfindet, ein zeitgenössischer Querschnitt durch
junge Kunstvorstellungen; inklusive Sesselkreis, Katzenbildern, gebrauchten Unterhöschen, Strickmasken über
Flachbildfernsehern, Bravo-Stickern in Übergröße und Objektinstallationen mit
postkonzeptuellen Namen wie „Kebap“ oder „PFERD“. Mit Kuratorenworten heißt das:
„Fragen zu Identität und Repräsentation sind ebenso präsent wie die Verhandlung
des Körpers zwischen sozialer Interaktion und Selbstdisziplinierung.“
Möglich, denke ich, dass die Intentionen und Ausführungen
aufstrebender Kunstkreise schon einmal verwegener (oder zumindest: ernsthafter)
waren als hier. Andererseits: in einer Zeit, in der Jeff Koons zum teuersten
lebenden Künstler gekürt wird, scheint das Spiel mit Ironie und
Selbstgestaltung höher im Kurs als die ernsthafte Beschäftigung mit
existentiellen Ist-Zuständen außerhalb des engen Sesselkreises der eigenen
Zunft. Der moderne Kunstmarkt ist ein farbenfrohes, grelles Meer, doch es
schwimmt so viel Plastik und Kitsch und Ironie mit, dass meine Anteilnahme
darin untergeht. Wenn das Plastikmeer steigt und die Gegenpole schmelzen, wenn sich neue Kunst nur noch durch prätentiöse Kuratorentexte erschließen lässt, wer wird sich
dann noch für Kunst interessieren, außer den Künstlern selbst (wie es schon
Ernst Caramelle überspitzt erkannt hat)? Wie kann ich ihre Kunst noch ernst
nehmen, wenn es die Künstler selbst nicht tun?
Während meinem dankbaren Dienst erzählt mir eine Kollegin vom Tag der Ausstellungseröffnung. Zwischen all den technischen Geräten, den
inszenierten Stühlen, Messern, Plastiken und Unterhöschen lehnte eine kleine Flasche
Mineralwasser an einer Wand, die scheinbar jemand beim Aufbau vergessen hatte.
Einen ganzen Tag stand die Flasche in der Ausstellung, wurde sie vom Publikum
bestaunt und fotografiert, weil niemand, nicht einmal die Oberaufsicht, sich
getraute, sie anzufassen, wegzuräumen. Weil niemand sicher wusste, ob es ein
Kunstobjekt darstellte – oder ein Mineralwasser. Einen Tag später wurde die
Flasche entfernt.