Mittwoch, 28. Oktober 2020

Gedanken am Feiertag

Es ist der letzte Montag im Oktober, es ist Nationalfeiertag. Normalerweise mag ich Feiertage, denn das bedeutet: doppeltes Gehalt. Doch heute gibt es keinen Dienst, überhaupt gibt es kaum noch Dienste in diesem Jahr, und ich kann oder darf den 26. Oktober ohne Arbeit, ohne Gehalt begehen.

Das Wetter drängt nach draußen, ich spaziere über die Straße, die man Balkanmeile nennt, und bei der Straßenbahnstation halte ich an, bleibe mit meinem Blick am serbischen Grill hängen: ein winziges Wirtshaus, dass schon seit Monaten geschlossen hat (laut verschmierter A4-Notiz wegen Renovierung). Ich blicke auf die ausgeblichenen, wenig einladenden Essensbilder an der bröckelnden Fassade, Serviervorschlag heißt das auf den Supermarktprodukten immer, doch es sind keine guten Vorschläge, die ich hier betrachte, es braucht einiges an Toleranz, Fantasie und Vorwissen, um die Bilder ihren kunstvollen Titeln zuzuordnen: „Grill Plahe“ steht unter einem, „Grill Wörsten“ unter dem anderen, und im rechten, unteren Eck, da gibt es sogar „Höhnerkeulen“.

Und einmal entdeckt, schlägt der falsche Buchstabe sofort in Poesie um: Ich stelle mir vor, es gibt einen Laden, in dem Höhnerkeulen verkauft werden; also Keulen, mit denen man sich gegen Höhner und Höhnerinnen verteidigen kann, neben der Spottschleuder das beliebteste Produkt im Laden. „Wer höhnt, wird gekeult“, so würde damit geworben werden, und es wäre staatlich akzeptiert, ja sogar empfohlen, sich für den privaten Gebrauch eine Höhnerkeule zu beschaffen, am besten eine kleine, kompakte für den Rucksack oder die Handtasche, um sich gegen alle möglichen höhnischen Bemerkungen am Arbeitsweg, in den Öffentlichen zu wappnen, die Höhnenden auch unterwegs in die Flucht schlagen zu können, weil man es sich nicht länger gefallen lassen würde, weil es endlich Allgemeinwissen wäre, dass Worte ebenso verletzten wie Hiebe, und jedes Spotten und Höhnen würde damit endlich eingedämmt werden, weil es sich die Höhnischen in Zukunft zweimal überlegten, ob sie einem Menschen hohnlachend begegneten, der eine Höhnerkeule bei sich führte, bereit, sich zu verteidigen.

Jahrelang bin ich an diesem Laden vorbeigegangen, doch erst heute, an diesem Tag ohne Gehalt, habe ich mir eine Höhnerkeule zugelegt. Vielleicht (sehr wahrscheinlich) werde ich sie nie verwenden; doch es tut gut, sie still bei sich zu wissen.