Donnerstag, 23. Juni 2016

Talent (geringfügig)

Schlimmer als kein Talent zu haben, ist nur, wenig Talent zu haben. Wer kein Talent in einer Sache hat, der nimmt sich ihrer gar nicht erst an. Doch wer, so wie ich, wenig Talent im Schreiben hat, der versucht es immer wieder, nur um jedes Mal aufs Neue an seine engen Grenzen zu stoßen. Während der wenig Talentierte sich an jeden Strohhalm klammert, verhöhnen ihn alle extrem Talentierten und verlachen seine beschränkte Sprache, die so ausgetragene Floskeln verwendet wie „sich an Strohhalme klammern“. Sie tun es natürlich nicht direkt, sondern über den Umweg ihres Erfolges, der dem wenig Talentierten immer wieder in die offene Wunde des Scheiterns gedrückt wird.

Der wenig Talentierte erhält nämlich nicht nur Absagen und Ablehnung für sein beschränktes Bemühen, er erfährt auch, wer statt ihm die Lorbeeren erhalten hat. Und das ist vermutlich die schlimmste Strafe des wenigen Talentes. Während ein Talentloser sich dem konkurrierenden Gesamtfeld bewusst entzieht, ist der wenig Talentierte in seiner Unterlegenheit gegenüber den reich Talentierten nicht nur mit seinem Scheitern konfrontiert, sondern auch mit dem Wissen, welcher hochtalentierten Gruppierung er niemals nahe kommen wird.

Es wäre vielleicht Zeit, mir einzugestehen, dass ich insgeheim weiß, wo mein Platz ist, dass ich durchschnittlich schaffe, durchschnittlich schlafe und durchschnittlich lebe. Vermutlich genügte das auch, um in einem durchschnittlichen Dasein zu einem  bescheidenen Glück zu finden. Doch dann wiederum sind da diese winzig kleinen, hässlichen Talentausschläge, die mich immer wieder jucken, irritieren und nicht weggehen wollen. Sie tun nicht sehr weh, sie töten nicht, sie sehen bloß peinlich aus.

Und während ich meine talentierten Irritationen weiter kratze und es nur noch schlimmer mache, komme ich nicht umhin, die wunderbare Reinheit der makellosen Ganzkörpertalente zu bestaunen, die mir auf so schmerzliche Weise unerreichbar scheint.