Immer noch überfordert es mich regelmäßig, wenn Menschen gut
zu mir sind. Arbeitskollegen, die mir Zigaretten und Nachsicht schenken, herzliche Putzfrauen, die mir ständig eine Tasse Kaffee anbieten, der achtsame Supermarktkassier, der mir
nachruft, ich hätte meinen Schirm vergessen. Solche Akte der Güte lösen in mir
eine seltsame Hilflosigkeit der Sprache aus, ein automatisches Ausgeliefertsein
im Widerfahrnis des Guten, das ich nicht einordnen kann.
Dabei sind es weniger die Taten an sich, als vielmehr ihre
Auslöser, Beweggründe, die mir jedes Mal unbegreiflich erscheinen. Immer, wenn
jemand einfach so gut zu mir ist, bin
ich versucht, anzuhalten und nachzufragen, um zu begreifen, nachzuvollziehen, und innerlich
stammelt eine überwältigte Stimme irgendwelche fragenden Fragmente, auf der unnützen Suche nach dem Warum des Guten.
Ich beginne zu glauben, manche Menschen sind einfach grundlos gut. In ihrer Natur steckt etwas zutiefst Gütiges, das sie weder
verstecken noch leugnen können; sie zeigen dir an deinem ersten Arbeitstag,
worauf du zu achten hast, sie entschuldigen sich, wenn du sie in der
Straßenbahn anrempelst, sie haben immer etwas bei sich, das sie mit dir teilen
können (und es auch tun). Und das alles ganz ohne Motiv, ohne dich oder mich sonderlich gut zu
kennen oder etwas in retour zu verlangen. Gut sein ist für sie der banalste Vorgang der
Welt. Sie handeln, ohne ihre Güte je zu hinterfragen oder an ihrer Richtigkeit zu
zweifeln, weil sie immer schon gut waren. Die Guten sind natürlich gut.
Deshalb fällt es mir so schwer, mit ihren unerwarteten Geschenken
umzugehen; ich kann ihre Güte nicht logisch nachvollziehen, weil sie keine
Logik verlangt, kann nicht nach tieferen Gründen suchen, weil es keine gibt. Das
Gute hat kein Anrecht auf Psychologie. Ich muss es einfach akzeptieren und
annehmen, auch wenn es so viel schwerer fällt, als die Schlechtigkeit der
Menschen hinzunehmen. Im Gegensatz zum natürlich Guten sind die alltäglichen Auswüchse des Schlechten (Arroganz, Grobheit, Erwartung, Ungeduld, Dogmatik, Ausnutzung, Schadenfreude, die Liste ist endlos) immer tiefenbegründet, immer und überall erklärbar,
verfolgte man sie nur weit genug zurück.
Gutes geschieht grundlos. Schlechtigkeit und Übel haben immer ein
Motiv.