Auf meinen Spaziergängen durch die Stadt verschlägt es mich
immer wieder in eine der austauschbaren Filialen jener genussbefreiten
Schnellimbisskette mit dem frittengelben Doppelbogen im Logo. Ich trete ein,
obwohl ich das Markenkonzept dieser Einrichtung zutiefst verachte. Ich trete
ein, weil mir das Bild im Inneren mehr erzählt als tausend Blogs und ich nach genau
diesen Bildern giere, die umgehend einen Schalter in mir betätigen und den
Beobachtermodus des Sicherheitsorgans aktivieren. Stoisch betrachte ich all die
heiter bis apathischen, modebewussten Schüler und Schülerinnen, die sich in den
Sitzecken sammeln und unter dem Dach des Konsumtempels ein selbsternanntes Jugendzentrum
einrichten, das sie in ihrer maßlosen, überfordernden Freizeit auffängt. Wann immer
ich eine Filiale betrete, sind die Jugendlichen bereits da; sie bilden eine soziale
Konstante in meinem Leben, ohne je mit ihnen Kontakt zu haben.
Doch meine Aufmerksamkeit gilt nicht ihnen. Mein Blick ergreift
sie nur so lange, bis ich die sauber blitzende, raumschiffartige Theke erreicht
habe und in die Gesichter dahinter sehen darf – die jungen, emsigen,
ausgebeuteten Mitarbeiter der Marke, Mitarbeiter, die täglich variieren und mir
dennoch seltsam vertraut erscheinen. Vielleicht erkenne ich mich in ihnen
wieder, vielleicht kann ich mir vorstellen, an ihrer statt zu stehen – wenn ich
ihre Geschwindigkeit hätte und eine Kasse bedienen könnte.
Zögernd stehe ich an der sterilen Raumschiffverkleidung und
bestelle schließlich einen einzelnen Cheeseburger, während ich den Euro in der
Hosentasche ertaste und mit meinen Blicken bei den drei jungen Thekenkräften
verbleibe, die ich schon in der Warteschlange fixiert hatte – drei Menschen, in
denen sich das ethnische Spektrum der Stadt bündelt, deren Körperhaltungen und Hautfarben nicht unterschiedlicher sein könnten. Menschen mit verschiedensten
Wurzeln, deren Stammbäume Kontinente überschatten. Bunte Menschen aus aller Welt, vereint unter dem frittengelben Doppelbogen.
Wie kommt es, dass ich immer wieder hier lande, obwohl der
Burger kaum schmeckt und ich mich offen schäme, diese lieblose Einrichtung mit meinem
Euro zu unterstützen? – Ich sage, ich bin
hier wegen ihnen. Wegen der kleinen Inderin mit dem Trainee-Button auf der
Brust, dem tätowierten Deutschen mit dem Riesenbizeps, der übermüdet lächelnden
Dame mit dem dunklen Afro. Diese Menschen auf der anderen Seite der Theke
sind es, Hintermenschen, die mich herlocken, in diese sonderbare
Raumschiffstation, und mir meinen dunklen Tag erhellen, allein durch das
Wissen, dass es sie gibt. Ich bewundere sie, jeden einzelnen von ihnen, sie
machen einen wunderbaren Job zu furchtbaren Konditionen, werden annähernd schlecht
entlohnt wie ich, doch sind sie zusätzlich einem kulturlosen Umfeld
ausgeliefert, das nur aus Normierung und Kapital besteht, einer
Schnellkonsumphilosophie, die nirgendwohin führt, einer Droge ohne Genuss. Ich
bewundere sie, die Tag und Nacht einer Arbeit nachgehen, die niemand machen
möchte, für die es mitleidige Mienen setzt, wenn man den Arbeitstitel nur
ausspricht.
Jedes Mal, wenn ich wieder in der Warteschlange stehe,
bevor ich meinen Euro hervorhole, da stelle ich mir ihre Geschichten vor, frage
mich, woher sie kommen und was ihre Träume sind, wofür sie arbeiten und wofür
sie einstehen – und wenn ich mich traute, ich wollte sie ausfragen und ihnen
lauschen, über Stunden und Wochen, alles, ja, alles wollte ich von ihnen
wissen, ihre gesamte Geschichte, von ihrer Geburt bis hin zu der Geste, die mir den Cheeseburger in die Hand drückt.