Als Aufsicht habe ich mir das Stehen angewöhnt. Ich habe mir
das Gefühl angewöhnt, die Beine zu spüren, den Schmerz, das Ziehen, die
Steifheit der Glieder als Alltag zu verstehen, ihn anzunehmen, durchzustehen.
Über die letzten drei Jahre habe ich dieses Gefühl verinnerlicht, den Zustand
der Beanspruchung zur Gewohnheit geformt. Trotzdem bleibt es, was es ist: ein
unangenehmes Gefühl, ein unerbittliches Wissen, jetzt und hier noch eine, noch
drei Stunden stehen zu müssen, bis mich die Ablöse oder die Nacht erlöst, und ich
es nicht ändern, nicht ausschalten kann; ich kann mich nur daran gewöhnen.
Letzten Freitag musste ich seit langer, langer Zeit wieder
stehen (der Zwangsurlaub warf mich aus dem Rhythmus des Schmerzes, zu wenig
Aufträge in einer Firma mit zu vielen Beinen; zwei Wochen wie zwei Jahre) und
ich machte eine Beobachtung: nicht draußen in der Welt, nicht in der kleinen,
neongrellen Halle, die ich beaufsichtigte, sondern in und an mir selbst. Ich
bemerkte, überrascht, dass ich das Stehen vermisst
habe. Ich habe es vermisst, den Aufsichtsraum für mich zu haben, einen Raum für
meine Gedanken, während ich einen Raum voller Touristen bewache und beobachte
und bestaune. Was mir und meiner Arbeit vorgeworfen wird, ist, was ich daran schätze
– die stille, scheinbare Nichtstuerei, das Herumstehen, nur um da zu sein, eine visuelle Versicherung, ohne
ersichtliche Aufgaben und Bemühungen, eine Art Anti-Arbeit, deren Erfolg allein
darin besteht, sie ohne Zwischenfälle durchgestanden zu haben, neun Stunden am
Stück. Das habe ich vermisst.
Ich weiß nicht, ob es stimmt, dass man sich an alles (also
wirklich: alles) gewöhnen kann; doch ich habe verstanden, dass man alles
vermissen kann, dass es keine Grenzen, Vorgaben oder sonstige Parameter für das
Vermissen gibt, außer diesen einen: den Raum. Je größer der Raum einer Sache
ist, je mehr Raum ich ihr in meinem Leben gebe, desto größer wird die Lücke,
die sie hinterlässt. Und selbst das Fehlen eines tausendmal abgegangenen,
ausgetretenen Raums, der mir die Beine schwer macht und mir Schweiß und Blasen
auf die Füße treibt, der die Zeit dehnt, bis die Minuten am Horizont
verschwinden, selbst dieses Fehlen hinterlässt eine Lücke, deren Vergangenheit
in Vermissen umschlägt.