Montag, 12. Juni 2017

Die Milde im Nachhinein

Ein Jahr. Solange hält meine museale Teilzeitliaison nun bereits. Nicht, dass die Zeit schnell vergangen wäre – im Gegenteil: Ich kenne und empfinde sie nicht, die angebliche Beschleunigung des Alltags, die rasende Eigenschaft der Digitalisierung. Hier, in meinen zweiten Wohnzimmern, in den gekühlten Museumsräumen und haushohen Prunksälen meiner Arbeitsziele, da gilt das postmoderne Eiltempo nicht, da entschleunigt jeder Dienst mein hektisches Zeitempfinden und relativiert das Verfliegen der Stunden.

Da gibt es Tage, an denen ist ständig etwas los, und dann wieder andere, an denen ist alles ereignislos, doch immer, ja immer bleibt Platz für Leerstellen, immer ist die Schicht irgendwo zu lange und immer fließt die Zeit tief in die Beine, die mit jeder Kontrollrunde und mit jedem Funkspruch schwerer werden und sich auf die Füße stemmen, die naiv versuchen, durch die Sohlen zu flüchten und sich dabei unbeholfen verbrennen. Und all das Mühsal für ein paar Euro mehr, für ein versichertes Stück Ruhe und für das Bewahren der Erinnerung; dem Erhalt der jahrhundertealten Mauerwerke und Malereischätze, deren zeitloser Wert gegen die chaotische Flüchtigkeit meiner Zeit ankämpft. Da stehe ich, mal fünf, mal acht, mal zwölf Stunden auf einer fixen Position, die ich nicht zu verlassen habe, die ich besetze, kontrolliere und schütze, solange, bis die Ablöse kommt oder die Tore geschlossen werden. Ich arbeite nicht für ein Individuum, ich arbeite für ein Objekt. Ich schütze keine Personen, ich schütze Exponate. Ich stehe nicht zu einer Firma, ich stehe zu einem Kunstwerk.

Das Erstaunliche daran ist, egal wie lange ich stehe, egal wie unendlich und mühsam meine Ausstellungsdienste mir in dem unmittelbaren Moment erscheinen, am Ende sind sie doch niemals wirklich schlimm. Denn kaum ist die Arbeit vorüber, stellt sich ein befremdlicher, kurzer Glückszustand ein, eine Erleichterung, die ohne all die Qualen und Längen der Schicht undenkbar wäre. Es ist eine Art sentimentaler Milde, die sich immer im Nachhinein einstellt und jede Anstrengung relativiert und verlässlich abschwächt; egal, wie schlimm, wie körperlich verzehrend und ermüdend die Arbeit auch ist, in dem Moment, in dem sie endet, ist sie bereits weniger schlimm gewesen.

Diese Arbeit, das, was ich vordergründig leiste, ist vielleicht überhaupt weniger ein „arbeiten“, als ein „ausharren“ – eine Probe, ein Experiment, dessen Belohnung darin besteht, die Freude über sein Ende erlebt zu haben. Und so ist es mit allen Anstrengungen, die endlich sind, auch wenn sie sich im Moment nie so anfühlen – am Ende sind acht Stunden im Museum vergangen und die Füße heben sich wieder aus den Sohlen, das Brennen erlischt im windigen Gefühl, es geschafft zu haben, und dem glücklichen Grinsen über die Absurdität dieses ewigen, anstrengenden Kreislaufs, der sich so seltsam erwachsen anfühlt.

Ein Jahr. Es hätte ein schlimmes, ein furchtbar schweres Jahr sein können. Vielleicht war es das auch. Wer kann das schon sagen, jetzt, wo es vorüber ist?