Sonntag, 24. Dezember 2017

Über das Lachen

Montaignes Schule ist einfach: genieße und denke und höre endlich auf, zu jammern. Doch weil alles Einfache unmenschlich schwer zu befolgen ist, sind die simpelsten Lehren auch oft die einsamsten, und nicht selten werden sie komplett vergessen und verdreht, wie die Gebote; so auch eine der kürzesten Schulstunden des Montaigne, seine simple, ernste Aufforderung, lachend die Wahrheit zu sagen. Denn „nie hat einer, der finster dreinblickt und abstoßend wirkt, etwas ausgerichtet.“

Die Probe der Zeit sieht das natürlich anders: Die finstere Gegenwart belächelt dieses Lachen, schmäht das lächelnde Gemüt, das nicht produktiv ist, das keine Kompetenz ausstrahlt und immer irgendwie als stumpfsinnig oder verdächtig empfunden wird, während der finstere, steinerne Blick für wahre Autorität in seinen Worten sorgt. Regelmäßig beobachte ich, wie mein (un)bewusstes Lächeln dagegen nur Verwirrung stiftet, wie eine lachende Antwort auf eine wahllose Frage im Gegenüber etwas Bedrückendes auslöst, eine Grundskepsis, als fühlte es sich belogen und betrogen – doch warum sollte ich, sollte irgendjemand im Lachen lügen? Die Lüge ist vorsichtig, verhalten, immer auf der Hut, enttarnt zu werden (sie muss es sein). Sie lebt in permanenter Gefahr, in Anspannung aller Muskeln, in Furcht um ihr baldiges, absehbares Ende – wie könnte sie dabei entspannt lächeln? Sie tut es eben nicht. Sie ist ernst, allzu ernst, und steinern lebt sie ein Leben, das alles haben kann; nur ein echtes, ein wahrhaftiges und befreites Lachen, das muss der Lüge verwehrt bleiben, denn dazu kann sie nicht fähig sein, ist es niemals gewesen.

Es ist aber jener beeindruckende Trick des Schauspielers (der in seiner Rolle verschwindet), gelassen zu lügen und grimmig die Wahrheit zu berichten, der die allgemeine Wahrnehmung scheinbar mühelos verschoben hat, und Montaignes Schule und sein lachendes Credo ins Gegenteil verzerrte; der es geschafft hat, sein Publikum (das breite) soweit zu bringen, eine lachende Wahrheit als unglaubwürdig wahrzunehmen. Es ist dieses finstere Selbstverständnis, das mich heute bedrückt: Spreche ich die Wahrheit mit einem breiten Lächeln, werde ich mit Skepsis beäugt. Lüge ich mit steinerner Mine, glaubt man mir jedes Wort.