Samstag, 2. Dezember 2017

Perspektiven

Es ist Abend, finster, ich gehe hinaus Richtung Supermarkt, um mir etwas zu kaufen, das ich nicht brauche. Ich hätte in der wohlig warmen Wohnung bleiben können, stattdessen trete ich auf den seimigen Asphalt, verschmutzt vom ersten Schnee, und sturer Wind weht mich an, verfolgt mich, als hätte er einen Grund. Die Marktstände am Eck schließen langsam, bauen ihre Regheit ab, ich stapfe vorbei an den zahllosen Verkäufern und Marktschreiern, die immer wirken, als steckten sie mitten in einer Plansequenz, die immer gerade irgendetwas tragen, schieben oder abstellen, und hier und da steht ein dunkelhäutiger Junge zwischen den Ständen, steht da und blickt mich stumm an, sonst nichts; ich gehe weiter und friere, wie immer, wenn es kalt ist.

Im Supermarkt ist wenig bis nichts los, bald stehe ich mit meinen wenigen Zufallsprodukten an der Kasse, vor mir nur ein gebückter Mann in schwarzer Jacke, er zahlt für eine einzelne, grelle Discounterdose, sonst nichts. Der Verkäufer nimmt das Geld entgegen, blickt dabei prüfend auf die ausgestellte, schwarze Jacke, fragt den Mann, was er da hat. Die schwarze Jacke versucht müde abzublocken, doch der Verkäufer hat die Hand bereits am Stoff, zerrt an der Seite, erkennt sofort den Inhalt und seufzt vor Enttäuschung. Dem Ertappten entfliehen beschämte, leise Sprachfetzen, ein gebrochenes „Hunger“, „Essen“, der Verkäufer hält ihn weiter fest, schiebt ihn dann genervt zur Seite und nimmt meine Ware auf; ich halte die Münzen schon bereit, zahle auf den Cent genau.

Im Abgehen drehe ich mich noch einmal zurück, noch einmal zu der schwarzen Jacke, dem traurigen, furchenreichen Gesicht, und ich komme nicht um einen mitleidsvollen Gedanken herum, male mir im Kopf die lange Kette an Konsequenzen aus. Mein Blick kreuzt den des Kassiers, er sieht mich aufmerksam an. Ich zögere, zittere, dann frage ich langsam, was er denn eingesteckt hat, ob es teuer sei. Der Kassier versteht sofort, er schüttelt sanft den Kopf, es gehe eben nicht darum, erklärt er mir mit feinem, südländischen Akzent, wenn der Kerl nur etwas zu essen wollte, würde er ihm selbst das Geld stellen, aus eigener Tasche; doch wenn jemand Woche für Woche für fünfzig Euro stielt, dann fühlt man sich irgendwann einfach verarscht. Sagt der junge Kassier in aller Ruhe, während er bereits die nächste Kundschaft bedient.

Ich stehe immer noch da, nicke ihm still zu, begreife etwas, und drehe mich langsam um. Die Schiebetür öffnet und ich trete wieder hinaus in die Kälte, gehe den feuchten, schmutzigen Weg zurück, den ich gekommen bin.