Bin ich nicht im Museum, bewache ich das barocke
Gartenpalais einer Fürstenfamilie, das heute regelmäßig für Firmenfeiern, Festmahle, Pharmapräsentationen und forcierte Märchenhochzeiten besetzt wird. Die Türen
aufhalten, Auskünfte erteilen, Zwischenfälle funken, leere Getränke vom Sandstein entfernen und
achtlose Oberschichtler davon abhalten, den Exponaten der Fürstenfamilie zu
nahe zu treten – das sind die aufblitzenden Glanzlichter meiner Tage und Nächte
in dem privaten Weltkulturgebäude, das mir nach Monaten zum zweiten Wohnzimmer geworden ist.
Heute scheint es endlos. In den pompösen Saallandschaften, in denen
ich meinen einsamen Dienst vor mir her spaziere, verebbt die Zeit wieder einmal
zu einem festen Klumpen, als hätte jemand vom Catering einen Schuss Sodawasser ins
Stundenglas gekippt. Während im ersten Stock eine laute Veranstaltung im Gang
ist, verbleibe ich auf meiner festen Erdgeschossposition und bewache
sinnfrei die leeren Quadratmeter der Sala Terrana, einem zugebauten,
cremeweißen Innenhof, dessen Wände und Decken überrannt sind von unfassbar aufwändiger, sinnfreier Kunstmeisterschaft.
Allein auf weiter Flur, lasse ich den Blick schweifen,
vorbei an Sandsteinsäulen und Marmorstatuetten, den Kopf hebend, bis die Augen
an die Decke gehen und der Blick hängen bleibt an einem von zahlreichen
Deckenbildern. Ein mäßig konserviertes Fresko, darauf zwei
liebreizende Frauen in zartrosa-fliederfarbenen Gewändern, die Brüste unmotiviert entblößt. Gemeinsam sitzen sie auf einer felsartigen, erstarrten
Wolkenformation in seltsamer Pose – die vordere deutet mit dem rechten
Zeigefinger ins Leere, während die linke Hand eine blecherne Gießkanne umfasst,
die leicht versetzte Hinterdame stemmt eine massive Gartenschere in den
Himmel.
Zum ersten Mal fällt mir dieses Fresko bewusst auf, zum ersten Mal
habe ich die Zeit, meinen Blick an der Decke festzuhalten, das Motiv in aller
Ruhe und Detailliertheit zu betrachten. Und sofort wachsen die Fragen aus dem Blick:
Wer sind die beiden barbusigen Damen? Warum schweben sie flügellos auf den
Wolken? Zu welchem Zweck hat der Barockkünstler den ominösen Zeigefinger da Vincis kopiert? Wohin soll der Finger deuten, wenn er nach außerhalb des Bildes
zeigt? Und weshalb posieren die Damen mit diesen banalen
Gartenwerkzeugen? Sind sie symbolisch aufgeladen? Ist die Venuskanne gefüllt
mit dem Regen der Fruchtbarkeit, der auf die Erde prasselt? Ist die
salomonische Schere das Instrument der Rechtsprechung, das zur Vernunft aufruft? Oder ist sie die Richterin, die das menschliche Band durchtrennt?
Und wenn ja, welches Band? Hat der verschmitzte Künstler in dieses unscheinbare
Barockmotiv eine latent-lesbische Variante des Garten Eden gepinselt, das zartfliedern über der groben, kaputten Männerwelt schwebt? Zerschneidet die Gartenschere das traditionelle
Band der Hetero-Ehe und begießt die Kanne deren Tod? Oder (langweiliger, weil naheliegend) verweisen die Werkzeuge einfach nur auf den barocken Garten, der hinter den Palaismauern anfängt? Und wie viel weitere, geheimnisvolle Geschichten stecken hinter diesem Motiv, von denen niemals jemand erfahren wird?
Langsam kommen die Gäste über die Prunkstiege hinunter, die
Veranstaltung verlagert sich ins Erdgeschoss, dekadente Dessertteller werden
gereicht, Raucher wagen sich für eine frierende Zigarette auf die Gartenterrasse,
die Sala Terrena füllt sich mit jeder Minute. Ein Saal voll zufriedener, gutgelaunter, sichtlich erfolgreicher Menschen, alle fest im Leben stehend, den überzeugten Blick steif und klar nach vorn gerichtet.