Sonntag, 11. Dezember 2016

Gefühl in Lila

Ich sitze im Erinnerungsspeicher meines Kinderzimmers, tief gebeugt über den buchenen Schreibtisch, und versuche das Gerippe eines Textes mit ein wenig Leben zu umfüllen. Der lilafarbene Stift überarbeitet den Mittelteil meiner Geschichte, ein rückblickendes Beziehungsgeflecht zweier junger Menschen; eine Stelle scheint mir noch sehr unvollständig, löchrig, doch schon fliegt mir der entscheidende, der wichtige, der eine Satz zu; der Satz, der ihre gemeinsame Vergangenheit ohne Wertung, ohne Belehrung auf den endlichen, allumfassenden Punkt bringt.

In dem Moment wird die Zimmertür aufgestoßen, schon an der Schwelle höre ich die Stimme meiner Mutter, das Mittagessen sei längst fertig und alle warten schon auf mich, der Kleiderschrank wird aufgerissen, die gebügelte Wäsche hineinsortiert, schnell und geschäftig, alles noch während sie spricht, und dann erst dreht sie den Kopf zum Schreibtisch und sieht mich an, erkennt plötzlich, was ich tue und verzeiht die Störung; es ist zu spät. Der entscheidende Satz ist mir längst wieder entschwunden.

Als ich aus dem Traum erwache, bleibt nur das Gefühl, etwas Wichtiges verloren zu haben, das nie wiederkehren wird, ein lilafarbenes Gefühl der Unruhe und Widersprüchlichkeit, sowie die stille Vorgabe, darüber zu schreiben.